Der wilde Türke

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Uwe Sauerwein

«Ich möchte wohl der Kaiser sein. Den Orient wollt ich erschüttern, die Muselmänner müssten zittern, Konstantinopel wäre mein.» Seinem Herrscher Joseph II. schrieb Wolfgang Amadeus Mozart im Jahr 1788 dieses Liedchen, nachdem der Habsburger einen Feldzug gegen das Osmanische Reich gestartet hatte. Sieben Jahre zuvor hatte der Komponist, im Auftrag des Monarchen, für das Wiener Burgtheater ein Singspiel verfasst, das zu den bekanntesten «Türkenopern» zählt: «Die Entführung aus dem Serail».

Im Schatten weltpolitischer Ereignisse dient Mozart heute als Botschafter der Toleranz. Schließlich schenkt der edle Türke Bassa Selim in der Oper seinen europäischen Gefangenen die Freiheit, obwohl er den Sohn seines Todfeindes in seiner Gewalt hat. Dieser Versöhnungsgedanke hat George Tabori geleitet, «Die Entführung» in drei Berliner Gotteshäusern zu inszenieren. Nach der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und der Neuen Synagoge wird ab Freitag das islamische Gebetshaus der Alevitischen Gemeinde zur Bühne. Der Versuch, das Projekt in einer Moschee zu präsentieren, war bei Moslems auf heftige Ablehnung gestoßen.

Befasst sich Mozarts Oper sich tatsächlich mit dem islamischen Kulturkreis? Die Hohe Pforte in Istanbul war über Jahrhunderte Machtzentrale über ein Vielvölkerreich, die höhere Beamte bevorzugt aus den eroberten Provinzen rekrutierte. So ist auch Bassa Selim, edelmütiger Herrscher in Mozarts Oper, die aus einer Vielzahl von «Entführungsopern» herausragt, ein Konvertit. Seit der Niederlage vor Wien 1683 war das Osmanische Reich zum Spielball der europäischen Mächte geworden. Joseph II., Nachfolger der auf gute Beziehungen bedachten Maria Theresia, nahm die alte Kreuzzugsidee wieder auf. Tatsächlich war Mozarts «Entführung» für den Besuch des russischen Großfürsten bestellt worden, mit dem der Kaiser über eine Allianz verhandeln wollte.

«Der wilde Türke», in den Jahrhunderten zuvor gefürchtet und schlicht als Sinnbild für die andere, die nichtchristliche Welt benutzt, wurde mit der modischen «Turquerie» der Lächerlichkeit preisgegeben. Spielerisch beschäftigte man sich mit der Kultur des ehemaligen Angstgegners und goss alles angeblich türkische in barocke Formen. Wobei alte Klischees vom barbarischen Orientalen gleichwohl überlebten, bei Mozart in der Figur des liebestollen Aufsehers Osmin.

Schon in einer der frühesten Theaterszenen mit «türkischem» Sujet, der «Mamamouchi»-Szene in Lully und Molières «Bürger als Edelmann» am Hof des Sonnenkönigs 1670, wurden vermeintliche Schwächen des Orientalen zu Anspielungen auf eigene Missstände genutzt. Dazu gehört das obligatorische Weinlied, das in fast jeder Türkenoper zu finden ist - und oft als Attacke auf den eigenen Klerus verstanden wurde. Ebenso wie man mit dem großmütigen Herrscher nicht unbedingt den orientalischen Machthaber, sondern den eigenen aufgeklärten Fürsten zu loben suchte. So ist es von Bassa Selim nicht weit zum großen Reformer Joseph.

Fast alles, was in den Opern als «orientalisch» dargestellt wird, ist ebenso reine Imagination wie die «Moscheen» in Europas Schlossgärten. Die einzige «türkische» Musik, mit der Mitteleuropa lange Zeit in Berührung kam, waren die militärischen Klänge der Janitscharen, einer Elitetruppe, die aus den eroberten Gebieten der Osmanen rekrutiert wurde. Allenfalls koloristische Tupfer fanden unter dem Begriff «alla turca» Eingang in die Opern- und Konzertwelt des Westens. Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung des Märchens: Mit Antoine Gallands Übersetzung der Sammlung «1001 Nacht» war nach dem Koran das erste bedeutende Stück arabischer Literatur zugänglich geworden. Ähnlich wichtig wurde das erotische Moment, das dank exotischem Ambiente die Zensur umging. Wobei allein die Vorstellung, sexuellen Kontakt mit «unzivilisierten» Nichteuropäern zu haben, gerade bei Hofe besonderen Reiz gehabt haben mag.

Durch die «Türkenmode» mündete der alte Konflikt zwischen Christen und Muslimen in ein neues irrationales Weltbild über den Orient, das bis heute nachwirkt. Eine «Türkenoper» in einem islamischen Gebetshaus aufzuführen, erinnert ein wenig an eine Aktion des Kabarettisten Gerhard Polt: Der ließ dem Moskauer Bürgermeister bei einem Bayernbesuch Russische Eier vorsetzen.

Ab 30. 8. im Islamischen Gebetshaus, Waldemarstr. 20, Kreuzberg. Karten unter Tel.: 308 78 56 85