Deutsch- Stunde

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Jost Nolte

Vertrauen ist schön, Kontrolle ist besser

Ein neues Wort ist zu begrüßen. Der Politiker Gregor Gysi hat es dem Wahlvolk beim Abschied aus dem Senat beschert: «Grundmisstrauen». Beschreiben soll es einen beklagenswerten öffentlichen Zustand, in dem das Volk grundsätzlich annimmt, ein Politiker sage nie, was er meine, sondern nur, was ihm nützen solle. Im Großen Duden müsste die Vokabel zwischen «Grundmauer» und «Grundmittel» zu finden sein. Dort fehlt sie jedoch, und so steht Gysi abermals als origineller Denker, zumindest aber als wortgewandter Redner da.

Eine gewisse Tradition schimmert dafür in einem der beiden Nachbarbegriffe durch. Denn während im Fall der «Grundmauer» jede Bemerkung über den vormaligen «antifaschistischen Schutzwall» an den Haaren herbeigezogen wäre, ist der Hinweis erlaubt, dass es sich bei den «Grundmitteln» um DDR-Erbgut handelt, und zwar um die Übernahme des russischen Begriffs «osnovynye sredstval», der mit «Anlagevermögen» ins Kapitalistendeutsch zu übersetzen wäre.

Die Vorsilbe «Grund-» wird gern und häufig bemüht. Die Grundordnung ist jene Ordnung, die sämtlichen Gesetzen zugrunde liegen soll. Aus Grundfarben Rot, Blau und Gelb lassen sich alle anderen Farben mischen. Ein Grundfehler ist ein Missgriff, aus dem sich weitere ergeben. Die Vorliebe für das Präfix «Grund-» gründet sich vermutlich auf den Wunsch, allzeit Grund unter den Füßen zu haben.

Verblüffen mag, dass man sich lange nicht einig war, ob es «der Grund» oder «die Grund» heißen sollte. Was die Wortentwicklung angeht, so fallen die wichtigen Etappen in vorgeschichtliche Zeit. Ursprünglich soll grobkörniger Sand oder Erde gemeint gewesen sein. Das Grimmsche Wörterbuch will für den neueren Gebrauch Klarheit schaffen, indem es den Grund als «feste untere Begrenzung eines Dinges» definiert. Sodann handelt es den Begriff in 167 Spalten ab. Der Duden fasst sich kürzer, indem er anmerkt, man habe es mit einem schillernden Wort zu tun.

Egal, nahezu immer verstehen wir, was mit der Vokabel gemeint ist. Ob sie allein auftritt oder mit anderen Wörtern verwachsen ist, spielt kaum eine Rolle, und Gregor Gysis «Grundmisstrauen» macht keine Ausnahme. Wir könnten das Wort also absegnen, und die Frage, bis zu welchem Grade die Diagnose stimmt, könnten wir Meinungsforschern und Politologen überlassen. Stutzig macht nur, dass es im bisherigen Sprachgebrauch kein «Grundvertrauen», sondern nur ein «Urvertrauen» gibt, das als Ersatz fürs Gegenteil des Gundmisstrauens dienen könnte, und da stellen sich Bedenken ein.

Das «Urvertrauen» stammt aus der Psychologie und meint ein aus der engen Beziehung des Säuglings zu seiner Mutter entwickeltes Vertrauen des Menschen zu seiner Umwelt. Politik inbegriffen? Politiker mögen davon träumen, aber bekanntlich soll einer von ihnen anstelle von Vertrauen Kontrolle verlangt haben.