Ob mit Rad, Auto, S-Bahn oder per pedes: Unterwegs in der Hauptstadt gibt es vieles zu entdecken, das aufzuschreiben sich lohnt. Namhafte Schriftsteller haben es für uns getan
Pony Plumage rief wie immer mitten in der Nacht an, kurz bevor ihre kreative Phase beginnt. «Ich muss aus meinem Atelier raus. Kannste mir beim Umzug helfen, ey?» Wir hatten uns kennen gelernt, als sie mit ihrem Fahrrad in der S-Bahn von den Türen eingeklemmt wurde. «Beim Fahrstuhl gehen die Türen aber von alleine wieder auf», beharrte sie, ohne selbst Anstalten zu ihrer Befreiung zu machen. Ein anderer Fahrgast und ich zerrten an den Türen des anfahrenden Zuges, um die trotzige Person loszukriegen. Ich bestaune Ponys Hartnäckigkeit, sich die Welt unterordnen zu wollen.
Dem durch ihre Atelierdecke dringenden Wasser hielt sie eine Weile kreativ stand, indem sie Schüsseln mit Brausepulver unter die zu Stalaktiten ansetzenden Tropfstellen deponierte und das Sprudeln, Schäumen, Schmatzen und schließliche Überlaufen auf zahllosen Videokassetten festhielt, die sie in einer Installation namens «Stubenströme» zur Bebilderung geistiger Flüsse von Bewusstsein zu Bewusstsein zwischen den Bewohnern eines Mietshauses einsetzen wollte. Als sie damit fertig war, plante sie die Errichtung eines Stalagmiten auf ihrem Atelierfußboden. «Zur Illustration von Zeit, ey», erklärte sie. Doch der Klempner pfuschte ihr in die Kunst, indem er durch eine halbherzige Reparatur die Tropfstelle verlagerte. Schließlich wurde das Wasser abgestellt und Totalsanierung angekündigt, und Pony Plumage muss raus.
Es ist ein heißer Sonntag. Der für Umzüge in Berlin übliche Pritschenwagen mit den ballspielenden Flossenfüßern auf der Plane steht vor der Tür. Wir nehmen im Atelier Ponys Anweisungen entgegen: «Jeder nimmt was mit runter, und dann alles schön in die Karre stapeln», sagt Pony und knipst ihre Videokamera an. Ihre schleppenden Bekannten und Freunde sollen Bestandteil der Videoinstallation «Gestufte Bewegung» werden. «Anfangen», ruft Pony fröhlich und betrachtet auf dem kleinen Bildschirm der Kamera, wie wir verlegen herumstehen.
Wie zu erwarten war, hat Pony nichts eingepackt. Ihr war wichtig, sagt sie, dass auf dem Video das «getragene Wandern der Objekte» zu sehen sei. Wir gucken uns um und greifen nach den erstbesten Gegenständen. Ich erwische eine unförmige Skulptur, die wie ein Sack neben der Tür lehnt, und lege sie mir über die Schulter. «Vorsicht, das ist Klara, die Toreadorin im Ruhestand», schreit Pony. In ihrem jetzigen Zustand würde die pensionierte Stierkämpferin nicht mal mehr als Vogelscheuche in Frage kommen. Schlaff hängt sie mir am Rücken herunter. Irgendwie glibberig. Ich setze sie auf die Pritsche.
Als nächstes trage ich braune Fellstücke hinunter, die Pony «Bauchlappen» nennt, sowie beinlange Rohre mit einem Loch in der Mitte, die Pony als «Kniestücke» bezeichnet und die unbedingt stehend transportiert werden müssen. Bald liegen alle Gegenstände im Auto, darunter vierzehn Igel aus Knetradiergummi mit abgebrochenen Köpfen elektrischer Zahnbürsten, ein schwarzes Schwein aus Pappe mit einem Polizeitschako von früher sowie eine gestrickte «Maria, die Mutter Lottos» und «Lotto» als Wollfigur in weißem Gewand und mit einem Rüssel, weil, wie Pony sagt, Lotto stets jüngstes Gericht halten könnte und alles aufsaugen.
Es ist heiß. Wir stehen im Stau. Wir zockeln ans Ende der anderen Stadt. Dass wir unterwegs angehupt werden, erkläre ich mir mit dem seltsamen Aufzug Ponys, über den ich nichts verraten darf, weil sie nicht wiedererkannt werden will.
Als wir das Wagendorf erreichen, sehen wir die Bescherung aus dem Wagen heraustropfen. «Klara, ey!» heult Pony auf. Wir öffnen den Wagen. Mit einem Plumps fällt der Rest von der Toreadorins Glibberkopf ins Gras. Gummi-Igel, Lotto und die Mutter Lottos, Bauchlappen und Kniestücke, alle Kunstobjekte fließen uns entgegen. «Klara war aus meiner Gelatine-Phase», erklärt Pony. Wir dürfen das Auto nicht anfassen. Sie packt sich das Telefonbuch auf den Schoß und ruft sämtliche Berliner Museen an: «Kann ich in Ihrem Magazin mal ein größeres Objekt unterstellen?»