«Wider die Willkür der Regie»

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Volker Blech

Die 91. Bayreuther Festspiele sind ein ruhiger Jahrgang.

Nach der Neuinszenierung des «Tannhäuser» und dem «Ring

des Nibelungen» endete der

erste diesjährige Zyklus gestern mit den «Meistersingern».

Nachhilfe in Sachen Kapitalismus will Jürgen Flimm mit seiner Inszenierung vom «Ring des Nibelungen» geben. Vier Abende braucht er im Bayreuther Festspielhaus für seine nicht immer schlüssige Schilderung des Niedergangs eines Familienunternehmens, der gewaltbereiten Götter in Nadelstreifen. Im Gegensatz dazu sind in Bayreuth gerade wieder die friedlichen Rituale des Marktes zu studieren. Denn auch bei den Wagnerfestspielen 2002 ist die Nachfrage größer als das Angebot. Was zur Folge hat, dass sich die Damen an der Tageskasse freundlich langweilen, während vorm Festspielhaus Menschen mit Schildern demonstrieren, dass sie bereit sind, für «Siegfried» oder «Götterdämmerung» jeden Preis zu zahlen. Es gibt eben reichlich Rituale in Bayreuth.

Im «Rheingold» hat sich Kostümbildnerin Florence von Gerkan ausgerechnet den lüsternen, intriganten, seine Leute gnadenlos ausbeutenden Alberich als bestgekleideten Herrn ausgesucht. Hartmut Welker singt ihn mit kraftvoll deklamierender Zielsicherheit. Das kann man von Alan Titus als Wotan nicht behaupten. Wotan ist der proletenhafte Bauherr von Walhall, der den Preis (Anja Kampes singt eine frisch aufschreiende Freia) an die Riesen nicht zahlen will und kann. Also werden kriminelle Energien freigesetzt. Hier reißt Graham Clark als Loge das Geschehen allzu sehr an sich, Wotan wird zum Mitläufer degradiert.

Szenenwechsel. Die Deutsche Richard-Wagner-Gesellschaft hat eingeladen. Gegen die «unbeschränkte Willkür der Regie» zieht man schon mal mit Flugblättern ins Gefecht. Aber es ist ein ruhiges Jahr. Die Gesellschaft hat sich über die Jahre hinweg mit Festspielchef Wolfgang Wagner arrangiert. Aus der Nachfolge-Diskussion will man sich heraushalten. Wobei es für Bayreuth schon gut wäre, wenn die Festspiele weiter in Wagner-Hand blieben. «Das ist wie mit der königlichen Familie», erklärt Rüdiger Pohl, der die Geschäftsstelle in Berlin leitet: «Der Öffentlichkeit bereitet sie viel Spaß.» Sein einziger Vorwurf an den Clan-Chef ist, dass er manchmal falsche Leute an die Wagner-Opern lasse: «Wotan ist nicht der Mistkerl, zu dem ihn die meisten Regisseure machen.»

In der «Walküre» ist Wotan ein Mistkerl, der in einer schicken Konzernzentrale residiert. Auf dem riesigen Schreibtisch liegt sein Speer - manchmal können hehre Symbole lächerlich deplatziert wirken. Stimmlich bleibt Titus wieder indifferent. Dagegen ist Mihoko Fujimura als Ehehüterin eine Eiserne Lady, die einen korrekt artikulierenden, streng geführten Mezzo einsetzt. Wotan kann nur klein beigeben. Der zu opfernde Siegmund (Robert Dean Smith) und seine Sieglinde (Violeta Urmana) sind solide vorgeführt. Die Überraschung des Abends ist Evelyn Herlitzius. Ihre junge Brünnhilde lässt aufhorchen. Dirigent Adam Fischer bekommt dagegen einige Buhs. Denn das Wagner-Pathos bleibt etwas auf der Strecke.

Szenenwechsel. In einem Geschäftshaus im Norden Bayreuths plant der Bauingenieur Heinz Döring ein zeitgemäßes Festspielhaus: ein Musicaltheater. Dort soll ein Wagner-Musical nach dem «Ludwig»-Vorbild in Füssen aufgeführt werden. Sein Ansatz ist einfach. Keine Stadt wird wie Bayreuth mit dem Namen Wagner verbunden. Die Vermarktung des Markenzeichens sei daher mit nur sechs Wochen im Jahr zu kurz. Das Musical soll ganzjährig spielen. Ein wenig hat Döring schon verwundert, dass sich Wolfgang Wagner jetzt so massiv gegen das Musical ausgesprochen hat. Bereits im November hatte Döring ihm seine Vision präsentiert - und bekam zur Antwort, dass das Leben von Richard Wagner doch nichts für ein Musical hergäbe.

Und außerdem käme Wagner im «Ludwig»-Musical schon schlecht weg. Trotzdem: «Das Künstlerteam steht bereits fest», sagt Döring. Es sind die Macher um den «Ludwig»-Komponisten Franz Hummel. Man werde jedoch aus den in Füssen gemachten Fehlern lernen. Auch der Standort, voraussichtlich ein Neubau, wird noch geprüft. Und wenn die Wagnerfamilie dem Konkurrenzprojekt nicht zustimmt? Döring zuckt vielsagend mit den Achseln.

In «Siegfried» hat Christian Franz die Titelpartie übernommen. Der Wagnerische Naturbursche ist ein hyperaktives, im Fitnesscenter gestähltes Dummerchen. Franz gibt Siegfried mit einem kräftigen, aber nie überzeichnenden Tenor Statur. Ein warmherziger Siegfried. Er und die von ihm befreite Brünnhilde sind ein ungleiches und zugleich hinreißendes Paar. Denn es bestätigt sich: Die Wagner-Welt hat eine neue Brünnhilde entdeckt. Evelyn Herlitzius ist mädchenhaft-sinnlich, ihr heller dramatischer Sopran lebt vor den hitzigen Schärfen in der Höhe. Noch nicht alles wirkt ins Letzte kontrolliert, und gerade das ist das Überwältigende.

Und so bestätigt sich, dass es im wirklichen Leben anders zugeht als in der «Götterdämmerung». Dort gehen die Götter selbstverschuldet unter. Rachedürstige Intrigen werden im gläsernen Büropalast geschmiedet. Olaf Bär debütiert mit nobel geführtem Bariton als nobler Gunther. John Tomlinson beeindruckt als rabenschwarzer Hagen, während Wolfgang Schmidt als Siegfried weit hinter den Erwartungen bleibt. Die Damen, Evelyn Herlitzius als Brünnhilde, Yvonne Wiedstruck als Gutrune und die Rheintöchter, sind Lichtblicke in einer männlichen Düsternis. Orchester und Chor trumpfen zum Untergang hin mächtig auf.

Alle werden am Ende bejubelt, nur dem Regisseur Flimm schlägt ein mächtiger Buh-Sturm entgegen. Die Festspiele gehen unbeirrt weiter. Der Kapitalismus siegt.