Büchermangel in Berliner Bibliotheken

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Isa Hoffinger

Eine Krise kommt selten allein. Anfangs fielen die kleinen Buchläden reihenweise den feindlichen Übernahmen durch große Ketten wie Hugendubel anheim. Dann traf es Letztere selbst. Und jetzt kann man sich Bücher in Berlin sogar nicht einmal mehr ausleihen. Zumindest lässt dies eine neue Statistik vermuten, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und des Deutschen Bibliothekenverbandes von «infas» erarbeitet wurde.

Die Berliner Büchereien schneiden nach diesem Bibliotheken-Index (BIX) im bundesweiten Vergleich äußerst schlecht ab. Trotz einer anhaltend guten Besucherquote liegt ihre Leistungsfähigkeit weit unter dem deutschen Durchschnitt. Laut BIX, der zum dritten Mal 35 Großstadtbibliotheken nach Kategorien wie Auftragserfüllung, Kundenorientierung, Wirtschaftlichkeit und Mitarbeiterorientierung beurteilt, sind die Büchereien in Berlin-Mitte noch relativ gut bestückt. Sie erreichten immerhin Platz 12. Die Bibliotheken in Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg-Hohenschönhausen und Neukölln rangieren jedoch nur auf den hinteren Rängen unter den Großstädten mit über 100 000 Einwohnern.

«Das liegt vor allem an der stark unterdurchschnittlichen Zahl der Neuanschaffungen» erklärt Petra Klug von der Bertelsmann-Stiftung. «Und an der hohen Fluktuation der Mitarbeiter. Wenn Stellen gestrichen werden müssen oder es nur befristete Verträge für Mitarbeiter gibt, mindert das die Qualität der Kundenbetreuung.»

Für die Bibliotheken sei der freiwillige Leistungsvergleich vor allem ein Instrumentarium, um ihre eigenen Kapazitäten besser einschätzen zu können. Den Testsiegern dienen ihre guten Resultate als Legitimation gegenüber den Kommunen, mit denen sie um ihr Budget verhandeln müssen. «Eklatante Strukturprobleme» gäbe es außer in Berlin nur in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt sei die Situation allerdings überall düsterer als noch vor drei Jahren. Die Ursache für die miserablen Ergebnisse ist klar: Es ist der drastische Sparzwang der Bibliotheken, unter dem wiederum auch der Buchhandel extrem leidet. Denn gerade die fehlenden großen Bestellungen der Staats- und Stadtbibliotheken sind es, die die Krise von Kipert & Co mitverursacht haben.

Die beste deutsche Bibliothek in Reutlingen hatte 2001 einen Medienetat von 380 000 Euro. Friedrichshain-Kreuzberg dagegen nur rund 120 000 Euro, bei einer doppelt so hohen Einwohnerzahl. Weniger Geld, weniger Bücher: In Friedrichshain-Kreuzberg etwa kommen auf jeden Einwohner im Schnitt nur 1,3 Medien, die entliehen werden können. Beim Sieger Reutlingen sind es 3.

Gelesen wird in Berlin dennoch enorm viel, soviel steht fest. «Wir hatten im Jahr 2001 über 600 000 Besucher. Das sind immerhin genauso viele wie im Pergamon-Museum», sagt Evelin Müller, Bibliotheksamtsleiterin des Bezirks Lichtenberg-Hohenschönhausen. «Aber aufgrund der hohen Gebäude- und Personalkosten haben wir einfach keine finanziellen Spielräume mehr.» Die momentanen Haushaltsperren, befürchtet sie, werden Angebot und Qualität der Bibliotheken im kommenden Jahr sogar noch weiter verringern.

Mögen einzelne Literaturbegeisterte also noch so viele Schmöker kaufen - was hilfts? Ohne die Kaufkraft der Bibliotheken wird sich auch der Buchhandel nicht erholen.