«. . . dann fließt Blut»

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Martina Helmig

Als Beitrag zur Versöhnung zwischen den Weltreligionen soll Mozarts «Entführung aus dem Serail» in einer Kirche, einer Synagoge und einem muslimischen Gebetshaus erklingen. So weit die edlen Motive. In der Realität hat die Produktion vielen Moslems Sorgen bereitet.

Sie hat für Unruhe und Zwietracht in muslimischen Gemeinden gesorgt, Mozarts «Entführung aus dem Serail». Nicht nur in Berlin, sondern auch in Rotterdam und Lahore. Das gut gemeinte Opernprojekt stößt auf heftige Ablehnung. Sogar von Blutvergießen war die Rede. Was ist passiert? Der Berliner Dirigent Christoph Hagel entschloss sich nach den Anschlägen des 11. September, Mozarts «Entführung aus dem Serail» aufzuführen - und zwar in einer Berliner Moschee. Schließlich geht es in dem heiteren Singspiel um die Versöhnung zwischen Orient und Okzident, um den Sieg der Liebe über kulturelle Differenzen.

Regisseur George Tabori war begeistert. Michael Degen wollte die Rolle des Bassa Selim übernehmen, inzwischen ist Mathieu Carriere eingesprungen. Thorsten Weckherlin, bis vor einem Jahr Leitungsmitglied am Schauspiel Leipzig, wurde als Produktionsleiter und Co-Regisseur gewonnen. Er machte sich mit Hagel auf die Suche nach einer Moschee.

«Wir haben schnell gemerkt, wie naiv wir waren. Keiner von uns hatte sich vorher gründlich mit dem Islam auseinandergesetzt», gibt Weckherlin zu. 63 Moscheen stehen in Berlin. Die Versöhnungsoper stieß auf heftige Ablehnung. Musik, Tanz und bildhafte Darstellungen sind in Moscheen verpönt. Auf Bühnenbilder kann man bei der Aufführung von Mozarts Oper verzichten, aber nicht auf die Musik.«Wir wurden von den orthodoxen Moslems belächelt oder für schwachsinnig gehalten. Türkische Freunde erklärten uns sogar für lebensmüde», sagt Weckherlin. Selbst Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, der das Projekt über den Hauptstadtkulturfonds fördert, konnte beim Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen nicht vermitteln. Es blieb beim klaren Nein.

Schließlich fand sich die kleine, 50-köpfige Ahmadiyya-Gemeinde, die in der Brienner Straße Berlins älteste Moschee betreibt. Sie plädiert für eine liberale Glaubenslinie, wird in ihrem Heimatland Pakistan aber nicht anerkannt und sogar verfolgt. Auch hier gab es lebhafte Diskussionen bei den Mitgliederversammlungen. «Sie kannten die Oper nicht und dachten wohl, wir wollten eine Art Nacktshow veranstalten.» Es gelang den Künstlern, den Imam Saeed Ahmad Chaudhry zu überzeugen.

«Ich bat unsere Zentrale in Lahore um Erlaubnis für das Opernprojekt, aber sie war strikt dagegen. Der pakistanische Botschafter lehnte es ebenso ab», erklärt der Imam. Auch der Europa-Beauftragte der Gemeinde, der eigens aus Rotterdam nach Berlin reiste, fand keine Lösung. Von Repressionen gegen die Gemeinde in Pakistan und möglichen Anschlägen auf die Berliner Moschee war die Rede. «Wenn wir das machen, dann fließt Blut», hieß es auf einmal, und der Imam zog seine Zusage zurück.

Hatten die Produzenten noch immer keine Zweifel an dem Völker und Kulturen verbindenden Projekt, das bei den Wunschpartnern so viel Hass und Unverständnis hervorrief? «Nein, nie. Die Welt ist nach dem 11. September aus den Angeln geraten. Vielleicht muss man Kunstformen finden, die irritieren», sagt Weckherlin. «Der Islam in der Welt und in dieser Stadt ist heterogen und zerstritten. Das Stück passt sehr gut zu der Situation», fügt der Dirigent Hagel hinzu.

Schließlich fand man mit den Anatolischen Aleviten eine aufgeschlossene Gemeinde. Auch sie gelten für orthodoxe Moslems als Außenseiter. Sie legen Wert auf die Gleichstellung von Mann und Frau und akzeptieren das islamische Rechtssystem der Scharia nicht als Wort Gottes. Rund 40 000 Aleviten leben in Berlin. Sie betreiben keine Moscheen, sondern «cem evi». In einem solchen Gebetshaus in Kreuzberg findet nun die «Entführung» statt. Erst spät, nach der Absage der Ahmadiyya-Gemeinde, entwickelten die Produzenten die Idee, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und die Neue Synagoge als Spielorte einzubeziehen. Mit den christlichen und jüdischen Gemeinden gab es keine Probleme. Nun endlich stehen die Zeichen auf Versöhnung. Die Aleviten haben keine Angst vor Anschlägen. Nur die Synagoge wird während der Vorstellungen etwas stärker bewacht als üblich.