Überliefert ist nur seine Visitenkarte: Magister Georg Sabellicus, Faust der Jüngere, Quelle der Nekromanten, Astrolog, zweiter Zauberkundiger, Handleser, Luftdeuter, Zweiter in der Kunst des Harnbeschauens. Alles weitere ist Legende, Schwank, Burleske. Bis unser Doktor als Held von weltliterarischem Rang geadelt wird, sollen noch ein paar Jahrhunderte vergehen, und auch der Tragödie erster Teil geht noch ein anderer voraus: Goethes «Urfaust», den das carrousel Theater jetzt im Rahmen des internationalen Theaterprojektes «Magic Net» inszeniert hat. Und weil der Stoff dem Volkstheater des Mittelalters entstammt, ist es nur konsequent, dass das carrousel mit einem Theaterzelt mitten im Kiez an diese Tradition anknüpft.
Während draußen im Mauerpark die Jugend mit Getrommel den Sommerabend feiert, plagt den Herrn Doktor drinnen der Sinn des Daseins. Regisseur Uwe Cramer unterstreicht mit seiner Inszenierung das Fragmenthafte, das mitunter Derbe und vor allem Volkstümliche von Goethes «Urfaust»: Kein Chor der Engel, statt dessen eine Feuerwehrkapelle, Punkrockmonologe, Siechende, ein quacksalbender Wagner (Manfred Struck), der mit seiner Säge und einer verstümmelten Säuglingspuppe durch die Gegend schleudert und ein Mephisto (intensiv und vielschichtig: Birgit Berthold), der den Studenten mit Scherenhänden an die Genitalien geht. Ein Kabinett des Grauens, das in weiten Teilen wirr wirkt.
Schön wird die Inszenierung erst da, wo die Figuren ihren Raum bekommen. Im Zwiegespräch oder beim Spaziergang im Garten zum Beispiel: ein Bretterzaun, vier Helden, ein liebestolles Haschmich-Spiel. Ralph Hensel bleibt indes als Faust die ganze Zeit über eher blass, da nützt auch lautstarkes Brüllen nichts. Im Gegenteil. Rundum überzeugen kann Sanam Afrashteh, die ein anfangs ebenso charakterstark-frisches wie am Ende gebrochenes Gretchen gibt. Sie allein ist es, die sowohl Faust als auch die Zuschauer über manches hinwegzutrösten vermag. Wenn er fragt, was die Welt, und wir, was dieses Stück im Innersten zusammenhält.
Am 11., 12. und 14. Juli, 20.30 Uhr im Theaterzelt Mauerpark (Eberswalder Str.); vom 17. bis 24. Juli im Kesselhaus der Kulturbrauerei. Kartentel.: 55 77 52 52.