Geniale Dilettanten

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Michael Pilz

Zwei Stunden lang in einer viel zu heißen Halle stehen, einen viel zu teuren Becher Bier in Händen halten, auf die Bühne starren, mit dem Kopf im Rhythmus wackeln und sich an die Zeit erinnern, als einem die Band so wichtig war wie Fußballclub und Freundin. Davon lebt das Rockkonzert für Ältere. An diesem Abend: Sonic Youth, die Ur- und Megaband des Noise-Rock aus New York, in der Columbiahalle.

Gleich drei Männer krümmen sich über Gitarren, einer prügelt auf sein Schlagzeug. Eine Frau mit rosa Rock und blonden Haaren spielt den Bass. Der Höhepunkt in jedem Stück ist immer noch der Augenblick, in dem sie auch den schönsten Song in einen Ausbruch unbändigen Lärmens münden lassen.

Wenn die Lichtanlage dazu Blitze flackern lässt, gilt das als Zeichen, stärker mit dem Kopf zu wackeln.

Woran denkt der Ältere bei Sonic Youth? An sein Studentenzimmer in den 80er Jahren als Bastion im Land von BAP und neuem Biedermeier. «Daydream Nation» wurde also möglichst laut gehört. Wenn jemand schrie, das sei doch gar keine Musik und Sonic Youth sei offenbar eine Versammlung handwerklicher Dilettanten, war man tief zufrieden.

Heute darf man das gerührt ironisch sehen. Wie die Band im Übrigen auch. Deshalb trägt Thurston Moore mit 44 für die Show ein Comic-T-Shirt. Er verbeugt sich grinsend bis zum Bühnenboden und ruft: «Thank you, Ladies and Gentlemen!» Den Stücken schickt er stets ein schiefes Pling auf der Gitarre hinterher.

Vor allem aber haben Sonic Youth auf ihrer Rampe eine Kamera montiert, die ihre Sicht der Dinge auf die Rückwand projiziert: Die Fotografen vor der Bühne, Zäune und dahinter wohl die glühendsten der Sonic-Youth-Konzertbesucher. Die tun das, was alle machen. Siehe oben.

Selbst als sich Kim Gordon, 49, statt des Basses die Gitarre greift und grimmig vor dem Titel «Plastic Sun» erklärt, der Song sei Britney Spears gewidmet, lächelt sie. «Plastic girl, I hate you!» singt sie. Alle Schlachten sind geschlagen, 21 Jahre nach der Gründung ihrer Band. Die 90er Jahre hatten Sonic Youth damit verbracht, Bewunderern wie Kurt Cobain beim Aufsteigen und Fallen zuzusehen - und durch möglichst schwer genießbare Musik den hoheitlichen Status zu bewahren.

Sie spielen aus der wieder zauberhaften neuen Platte «Murray Street». Gemeinsam mit dem Wunderknaben Jim O'Rourke an Bass oder Gitarre. Ob die schöne neue Leichtigkeit des Lärms sich ihm verdankt, dem Alter oder jenen Tagen, als ihr Studio in Manhattan im September hinter Flugzeug- und Gebäudetrümmern lag, weiß niemand. Man steht und denkt nur: ein ganz großes Rockkonzert.