Was man so über Oregon liest, klingt pittoresk. Der Pazifik brandet an seine Küsten; Puma, Fuchs und Biber leben dort inmitten von Fichten und Douglastannen. Jazz, der Aufschrei der Moderne aus dem Dickicht der Städte, passt hier eigentlich nicht hin. Und doch verbindet sich mit Oregon seit 1971 eine unerhörte Neuerung der improvisierten Musik. Vor über 30 Jahren gründeten vier Männer unter diesem Signet eine Band, die dem Jazz alles Hitzige austreiben wollte und anstelle des unberechenbaren Soul klassische Einflüsse von Bach bis Schönberg geltend machte. Das Resultat wurde «Kammer-Jazz» getauft. «Weltmusik» hätte es auch getan. Im Spiel des Tabla-Virtuosen Collin Walcott war alles vorformuliert, was die später entstandene Bezeichnung ausmacht.
Viele meinen, Oregon habe mit Walcotts Unfall-Tod 1984 seinen Zaubers eingebüßt. Das stimmt nicht unbedingt, wie man jetzt im Tränenpalast feststellen konnte. Es hat schon was Magisches, wenn eine Band jahrzehntelang an ihrer Legende weiterstrickt. Walcotts Rolle nimmt seit fünf Jahren der Schlagwerker Mark Walker ein; der Rest ist unverändert. Da ist immer noch der fingerflinke Multi-Gitarrist und Keyboarder Ralph Towner, Alles-Bläser Paul McCandless und Bassist Glen Moore, der sein Instrument wie ein mächtiges Ruder vorm Leib hält. So paddelt Oregon im Tränenpalast durch die Stromschnellen der Zeit, spielt Stücke, die das Quartett seit 20 Jahre nicht mehr im Repertoire hatte, oder interpretiert frickelige Fugen, die Towner 1999 für eine Kollaboration mit einem Moskauer Symphonie-Orchester ersann.
Kollektiv frei improvisiert wird auch. Ob das sein muss, bleibt offen. Denn das Schönste an Oregon bleibt nun mal das auf dem Notenblatt feinsinnig choreographierte Ballett der Klangfarben. Das hat nichts vom Spreiztanz des klassischen Bildungsbürgers und auch nichts vom Zucken des Ethnojüngers. Gemäßigt entspringt bei Oregon der Fluss musikalischer Ideen. Man kann sich dabei das Branden des Pazifik imaginieren oder das Wogen der Douglastanne. Dann klappt's auch mit der virtuellen Geographie des Kammer-Jazz. j.e.