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Uwe Sauerwein

Schon die äußeren Umrisse sind beeindruckend. Die beiden Bände der kostbaren hebräischen Bibel haben ein Blattmaß von 47 mal 63 Zentimetern und wiegen jeweils etwa 50 Kilogramm. Forscher schätzen, dass für die Herstellung des Pergaments mehr als 1100 Tiere sterben mussten. Die «Erfurt 1», sie wurde 1343 fertig gestellt, gilt als weltweit größte jüdische Handschrift überhaupt. Ihren Namen erhielt sie vor etwa 300 Jahren nach ihrem ersten feststellbaren Besitzer, dem Evangelischen Ministerium in Erfurt, wohin die Bibel, wahrscheinlich nach einem Pogrom im 14. Jahrhundert, gelangt war.

Seit 1880 befindet sich die «Erfurt 1» im Besitz der Berliner Staatsbibliothek. Allein seiner Größe und seines Gewichts wegen - und nicht etwa aus ideologischen Gründen, wurde das jüdische Schriftstück im Zweiten Weltkrieg, anders als viele andere wertvolle Bücher und Dokumente der Bibliothek, nicht außerhalb Berlins in Sicherheit gebracht, sondern im Keller des damaligen Wirtschaftsministeriums aufbewahrt. Feuer und Löschwasser nach einem Bombentreffer beschädigten den zweiten Band der Bibel erheblich.

«Kitwe-Jad» ist der hebräische Titel einer Ausstellung in der Staatsbibliothek mit herausragenden Stücken aus der international angesehenen Kollektion jüdischer Handschriften der orientalischen Sammlung. Die «Öffnung der Schatzkammer», so Kuratorin Petra Werner, erfolgt nicht ganz uneigennützig. Erregt sie doch das Interesse hochrangiger Sachverständiger aus dem In- und Ausland, die bei der Erforschung und Wiederherstellung des zweiten Erfurter Bandes behilflich sein könnten. Die Restaurierung dieser Pergamenthandschrift, die vor drei Jahren begonnen wurde und der ein eigener Dokumentationskatalog gewidmet ist, steht im Zentrum der Ausstellung.

Durch den Wasserschaden ließ sich der Band nicht mehr aufschlagen. Ein spezielles, sehr aufwändiges Verfahren musste entwickelt werden, um die einzelnen Blätter voneinander zu lösen. Acht von insgesamt 546 Seiten der Bibel sind in der Staatsbibliothek ausgestellt. Alle Seiten wurden gesäubert und geglättet, ein schwieriger Schritt, den man auch in einem Videofilm verfolgen kann. Für den nächsten nötigen Schritt, das Beseitigen von Fehlstellen an der oberen Blattkante, bieten sich mehrere Verfahren an. Eine Entscheidung darüber steht noch aus. Bis Ende 2005 soll die Bibel vollständig restauriert sein.

Nicht minder eindrucksvoll ist der zweite Schwerpunkt der Schau mit 66 Beispielen jüdischer Buchkunst vom 12. bis zum 19. Jahrhundert aus vielen Ländern, von Gebetbüchern der jemenitischen Juden über eine prächtige italienische Renaissancehandschrift der Psalmen bis hin zu Dokumenten der jüdischen Aufklärung in Berlin. Die wertvollen, oft reich verzierten Stücke, nicht nur mit hebräischen, sondern auch altfranzösischen, jiddischen, judeo-persischen oder arabischen Texten, dokumentieren unter anderem, dass das religiöse Bilderverbot selbst in Gebetbüchern immer wieder auf fantasievolle Weise umgangen wurde. Sehr zur Freude des heutigen Betrachters.

Staatsbibliothek zu Berlin, Potsdamer Str. 33, Tiergarten. Bis 17.8., Mo. - Fr., 10-19 Uhr, Sa. 10-17 Uhr. Eintritt frei. Zweibändiger Katalog, Teil 1: 19 Euro, Teil 2 (Restaurierung): 6 Euro.