Die «Botschaft» steht im doppelten Wortsinn schon da, gleichsam in Stein gemeißelt, in moderne Architektur gefasst: Das ungewöhnliche Gebäude der mexikanischen Botschaft in Tiergarten repräsentiert, so formulierten es die Architekten Teodoro González de León und Francisco Serrano, ein junges dynamisches Land, ein Land im Aufbruch mit einer großen Zukunft, zugleich ein Land mit einer Jahrtausende alten Kultur.
Mexikos Kultur ist in Berlin längst keine unbekannte Größe mehr. Dazu trägt nicht nur die Botschaft mit ihren Veranstaltungen bei. Auch andernorts ist Mexiko präsent. Zum Beispiel im Haus der Kulturen der Welt, das im Herbst junge, bisher kaum bekannte Kunst aus Mexiko nach Berlin bringt.
Den Rahmen dafür bildet das Festival «MEXartes-Berlin.de». Von Mitte September bis Anfang Dezember werden rund 250 mexikanische Künstler aller Genres in Berlin zu erleben sein, beim «größten Projekt eines lateinamerikanischen Landes in Deutschland oder sogar Europa», kündigt Bernd Scherer an. Der Direktor des Goethe-Instituts in Mexiko-Stadt, der zuvor als Bereichsleiter im Haus der Kulturen der Welt die Idee zu dem riesigen Projekt mit auf den Weg gebracht hatte, fungiert bei diesem Festival als «Schaltstelle» zwischen Berlin und Mexiko.
Als Scherer vor drei Jahren nach Mexiko-Stadt ging, stieß er in der 22-Millionen-Metropole auf manche Parallelen zu Berlin, vor allem auf eine kreative Aufbruchstimmung und enorme künstlerische Energien. Die Öffnung des Marktes Richtung USA und der demokratische Machtwechsel vor zwei Jahren lösten Umbrüche auch in Gesellschaft und Kultur aus.
Vor allem jüngere Künstler suchen den internationalen Vergleich und wollen sich nicht mehr als mexikanische «Nationalkünstler» verkaufen lassen. Viele verzichten deshalb sogar auf öffentliche Förderungen. Dabei ist auch in Mexiko die jüngere Generation nicht so politisch wie frühere Generationen, hat Scherer festgestellt, aber «dass sie sich in ihrer Sprache, ihren Ausdrucksformen behauptet gegen eine gesellschaftliche Elite, die ziemlich konservativ ist, das macht sie zu einem politischen Phänomen».
Das zeigte sich besonders ausgeprägt bei der ersten Love Parade in Mexiko-Stadt in diesem Frühjahr, die eine Vorgeschichte hat. Das renommierte Festival del Centro Histórico, das seit nunmehr 18 Jahren bei hohen Eintrittspreisen mit elitären Kulturprogrammen drei Wochen lang im April das koloniale Zentrum bespielt, wandte sich an das Goethe-Institut und bat um einen Beitrag für junge Menschen. Scherer dachte an Berlin und schlug ein Festival zur elektronischen Musik vor, die in Mexiko zunehmend Anhänger findet.
«Tecnogeist» hatte im Jahr 2000 Premiere. Höhepunkt des Festivals ist das Abschlusskonzert auf dem Zócalo, dem zentralen Platz der Hauptstadt, das die Jugendlichen und ihre Musik zusammenbringt. Zwei Mal ging dies gut, im dritten Jahr - die Veranstaltung hieß jetzt nach Berliner Vorbild Love Parade - bekamen die Verantwortlichen kalte Füße. Sie zogen eine bereits erteilte Genehmigung zurück, äußerten Sicherheitsbedenken, verlangten die Abfallbeseitigung, kurz: Sie führten eine Diskussion, wie man sie aus Berlin kennt.
Spezifisch mexikanisch wurden darüber hinaus jedoch in den Medien die Freiheit von Kunst sowie das Recht der Bürger und insbesondere der Jugend auf den öffentlichen Raum diskutiert. Schließlich griffen die Organisatoren in die Trickkiste und meldeten die Parade als politische Manifestation an. Demonstrationen dieser Art müssen nicht genehmigt, nur registriert werden. Am Ende spielten sogar die politisch Verantwortlichen noch mit und stellten die Bühne auf dem Zócalo zur Verfügung, vor der die ganze Nacht hindurch 80 000 Menschen tanzten.
Ein Nachspiel kam dieser Tage aus Deutschland. Da rügte der Bund der Steuerzahler die Verschwendung von Steuermitteln: «Ohne Rücksicht auf die katastrophale Haushaltslage greift der Bund für ein bisschen Spaß in Mexiko ungeniert in die Staatskasse.»
Bernd Scherers Resümée: «Das Goethe-Institut unterstützte mit 25 000 Euro Tecnogeist, ein Festival, bei dem es wesentlich um die Begegnung zwischen Künstlern der elektronischen Musik geht und bei dem die Parade nur einen Höhepunkt darstellt, der es den Musikern und 80 000 Jugendlichen erlaubt, sich im Zentrum der Stadt mit ihrer Musik zu präsentieren. Nicht zuletzt wurde dieses Musikereignis als das erfolgreichste Kulturevent der letzten Jahre in Mexiko gefeiert» - und in den Medien als ein Sieg der Kultur über die Politik.