Triumphe werden anderswo gefeiert

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Klaus Geitel

Ganz zum Schluss der Saison kam es, Gott und Messiaen sei Dank, zu einer künstlerischen Haupterhebung der Deutschen Oper, auf die man schon gar nicht mehr zu hoffen gewagt hatte. «Saint François d'Assise», dieses musikalische Szenen-Gebet in drei Akten, verstand es, zumindest an Marc Albrecht glauben zu machen, an Messiaens verwegene musikalische Priesterschaft, an die süßstimmige Ofelia Sala, den glücklichsten Zuwachs im Ensemble des Hauses.

Sonst war Udo Zimmermanns erste Saison nicht gerade von Glück gesegnet. Die neue Intendanz eröffnete mit einem Paukenschlag des Nachholens der bislang verpassten Moderne: Luigi Nonos «Intolleranza» errang sich bedenken- und gedankenreiche Hochachtung. Achim Freyer setzte ausgerechnet das Requiem Verdis in Szene. Schier verzweifelt verwies Verdi darauf, dass er doch immerhin 26 Opern geschrieben habe, darunter elf annähernd unbekannte. Half alles nichts: das Requiem musste es sein. Die Oper geht nun einmal schon seit längerer Zeit mit Vorliebe mit dem Kopf durch die Wand.

Zwei Niederlagen reihten sich an: «Hoffmanns Erzählungen» und «Fidelio», dies die grimmigste Erfahrung seit Jahrzehnten. Beethoven sah sich buchstäblich von allen guten Geistern musikalisch wie inszenatorisch verlassen: «Fidelio» rückte als Null ouvert ein in Berlins Opern-Skat. Cherubinis «Medée» tröstete nur schwachbrüstig darüber hinweg.

Die Komische Oper nahm Abschied von Harry Kupfer, ihrem langjährigen Chefregisseur und Strategen, dem es gelungen war, sich gleichzeitig auch noch die Lindenoper partiell hörig zu machen. Zum Abschluss seiner immens erfolgreichen Laufbahn inszenierte er Benjamin Brittens «The Turn Of The Screw», die auskomponierte Unheimlichkeit, eine Gespenstergeschichte ganz und gar aus englischem Holz. Die Aufführung geisterte geradezu, von transparenten Türen umschlossen, über die Bühne - und begeisterte durch ihre Durchsichtigkeit und Treffsicherheit: Oper mit hochgekitzeltem Kunststück-Charakter.

Der stellte sich ausgerechnet bei Händels «Tamerlano» nicht ein. Er ging sozusagen in Schwärze baden. Er verkroch sich im inszenatorischen Kellerloch. Glücklicher fiel aber auch das heitere Widerspiel nicht aus: der «Barbier von Sevilla», Rossinis Meisterwerk des musikalischen Witzes. Es simmerte auf einer Inszenierungsidee dahin, die sich auf einen südländischen Polit-Wahlkampf versteifte. Mit einem «Romeo und Julia»- Verschnitt, oberflächlich als «eine Version» getarnt, war auch kein Blumentopf zu gewinnen. Vielleicht hätte man einer anderen Version den Vorzug gegeben, wahrscheinlich am deutlichsten dem Gounod-Original.

Die Lindenoper erspielte sich wahre Triumphe - doch leider fern von Berlin. Sie führte in Yokohama und Tokio unter Daniel Barenboims Leitung dreimal komplett den «Ring des Nibelungen» auf und scheffelte damit Geld für zu Hause, wo es bekanntlich finanziell herzlich klamm steht. Man kann also mit Oper auch Geld verdienen, nur offenbar nicht in Berlin.

Franz Schrekers «Der ferne Klang» rückte als unausweichliche Gutmachung und Vorgeschmack auf die Intendanz von Peter Mussbach auf die Bühne. Um finanziell danach wieder zu Kräften zu kommen, schob man «La Bohème» nach, doch die erwies sich in Lindy Humes Inszenierung als eher ungefällig. Bescheidenes Glück hatte René Jacobs mit Haydns «Die Welt auf dem Mond». Die große Abräumerin der Lindenopern-Saison wurde unter musikalischem Beistand von Barenboim Doris Dörrie mit ihrer anziehungsmächtigen Einstudierung von Mozarts «Cosi fan tutte».

Die vorsätzlich abgemurkste «Zeitgenössische Oper», ein Verbrechen, für das normalerweise selbst nicht vorbestrafte Kultursenatoren ohne Bewährung ins Gefängnis kommen, machte Frank Martins «Tristan»-Paraphrase «Led Vin herbé» unter auffällig glücklicher musikalischer Leitung ebenso hörens- wie sehenswert. Die Kammeroper brillierte, musikalisch nicht weniger stichhaltig, mit Piazzollas Tango-Parade «Maria de Buenos Aires» im Hebbel-Theater.

Ja - und wie zum Löcherstopfen im Spielplan wurde an den drei führenden Häusern getanzt, konzeptlos, aber immerhin fußfleißig. Blanca Li gab in der Komischen Oper ihre Willkommen- und Abschiedsvorstellungen. Das Publikum überschwemmte ihren schick bebilderten «Traum des Minotaurus» und schluckte sich an den Posen der Truppe satt. Dafür blieb Patrice Bart, der choreographische Haudegen mit dem in seiner Hand stumpf gewordenen klassischen Säbel, betrüblicherweise der Lindenoper treu. Die Ehre des klassischen Tanz-Berlin rettete in der Deutschen Oper immerhin mit zwei choreographischen Brautgaben der Leipziger Tanzprofessor Uwe Scholz.