Beton ist nicht der ideale Lebensraum für zarte Pflänzchen. Weiß jeder. Am Potsdamer Platz jucken die schlechten Wachstumsbedingungen noch nicht einmal die Literaten. Eingekesselt von Hochhäusern und Konzernriesen soll an diesem Sonnabendabend Poesie erklingen und die Herzen der Berliner inklusive der Touristen wärmen: Seht her, das ist sie, die Stadt mit tausend Möglichkeiten - Kunst und Kapital glücklich vereint.
Zum dritten Mal versammelt «Weltklang» im Rahmen des Berliner Sommerfests der Literaturen internationale Dichter auf einer sterilen Bühne. Ein bunt gemischtes Publikum auf braunen Klappstühlen davor. Viele sind gekommen. Hornbebrillte Intellektuelle sitzen neben arrivierten Anzugträgern, Punks neben Reisegruppen. Das verwundert: Gedichte sind zwar toll, sind sprachliche Meisterwerke, jedes Wort eine Welt an Bedeutungen. Gedichte aber haben ein Problem: Kaum einer kauft sie. Im Herzen des Kapitalismus jedoch wuselt es vor Erwartungsfreudigen. Deutet sich eine Trendwende an? Erobern Gedichte nun den Globus?
Zehn Lyriker und acht Sprachen stehen auf dem Programm. Der Clou dabei: Es wird in der jeweiligen Landessprache gelesen. Übersetzungsbändchen kann man kaufen. Muss man aber nicht. Der Klang der verschiedenen Sprachen steht im Vordergrund. Bei Thomas Kling, Dichter mit Wohnsitz auf einer Raketenstation, ist noch alles klar, rein sprachtechnisch. Seine reim- und atemlose Lyrik trägt er bedrohlich laut, abgehakt und auf Deutsch vor. Die Stimmung schlägt sich im Ausdruck nieder. Es geht zu schnell für tieferes Verständnis. Nur Satzfetzen bleiben hängen. Auch gut. Der Dichter Cuti zählt zur der Minderheit afro-brasilianischer Intellektueller und ist ein lauter Gegner des unterschwelligen Rassismus. Seine Performance beeindruckt. Anfangs ist sein Kopf mit einem Tuch verhüllt, dass er später mit einem Regenschirm lüftet. Eine Rose vor sich, die Bühne in rotes Licht getaucht, beschwört er zu sehnsüchtigen Klängen mit großer Geste seine Herkunft. Gegen Europäisierung und Weißmachung setzt er Zeilen wie «das Wort Neger/ das viele nicht mögen/ hat den Geschmack aufgehender Sonne.» Auch ohne Textbuch macht so etwas Gänsehaut.
Dennoch besteht für das Publikum ständig Entscheidungsnot: Dichterlauschen oder Dichterverstehen heißen die Fragen der Stunde. In rasender Geschwindigkeit werden Lyrikclips vorgetragen: Eine Literaturgröße wie die Österreicherin Friederike Mayröcker hat für ihren Liebesakt mit der Sprache nur 15 Minuten, ebenso der Kreole Georges Castera, dessen rhythmische Gedichte begeistern. Die Australierin Amanda Stewart erweist sich als Sprachakrobatin mit wahnwitzigen Lautverrenkungen. Gozo Yoshimasu trägt seine Langgedichte mit Enthusiasmus und wilden Zuckungen vor. Japanisch klingt in deutschen Ohren allzu fremd: unterdrücktes Kichern in den Reihen. Zum Abschluss rappt der Italiener Lello Voce gegen die Globalisierung. Und damit auch gegen den Sponsor des Festes: Daimler Chrysler. Ein absurder Moment.