Nicht koscher, aber delikat

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Uwe Sauerwein

Vielen Dank fürs Kommen, meint er zu den Menschenmassen, die sich vor der Alten Nationalgalerie und, mangels Karten, auch draußen vor den Toren versammelt haben. Wo doch heute «strange weather» sei. Manchem älteren Konzertbesucher, der Nigel Kennedy vor allem als einer der weltbesten Brahms-, Beethoven oder Vivaldi-Interpreten kennt, wird an diesem Abend auf der Museumsinsel nicht nur die Witterung befremdlich erscheinen.

Dass der Stargeiger ein extravagantes Äußeres bevorzugt, ist bekannt. Diesmal erscheint er weiß geschminkt wie ein Pantomime. Seine drei Mitspieler von der polnischen Klezmergruppe Kroke kleiden sich nach Art orthodoxer Juden. Das «Kroke-Kennedy-Quartet» - der Weltstar gibt sich bescheiden, bietet jedoch alles andere als Schtetl-Folklore.

«Contemporary Klezmer» meint Kennedy im Scherz, wohl nicht wissend, dass engagierte amerikanische Musiker, die sich ernsthaft mit der Modernisierung der alten jüdischen Weisen beschäftigen, genau diesen Begriff für sich reklamieren. Einer von ihnen, er heißt David Krakauer, befindet sich im Publikum. Der Klarinettist wird zwei Stunden später, im ein paar hundert Meter entfernten Tränenpalast, mit seiner New Yorker Band Klezmer Madness ein wahres Feuerwerk aus chassidischen Tanzmelodien und brachialem Jazz entzünden.

Besinnlicher geht es auf der Museumsinsel zu. In ihrem ersten gemeinsamen abendfüllenden Konzert setzen Kennedy und Kroke auf sphärische Klänge, zögern nicht, Geige, Bratsche, Akkordeon und Kontrabass mit gesampelten Tönen und allerlei elektronischer Verfremdung anzureichern. Von «Violine pur» bis zum kreischenden Ton eines Heavymetal-Gitarristen reichen Kennedys Soundmöglichkeiten.

Die eigenen Kompositionen des schon großartig eingespielten Quartetts leben von ausgedehnten Improvisationen, die sich bisweilen in atonalen Ausbrüchen entladen können. Dann wiederum widmet man sich traditionellen Stücken, zumeist aus dem südosteuropäischen Raum, wobei der «klassische Ton» des Virtuosen einen besonderen Reiz ausübt.

Kennedy führt die Zuhörer durch ein Wechselbad der Gefühle, nicht zuletzt mit seinen zotigen Ansagen. Gerade noch hat er irgend etwas von «hidden cameras» auf der Damentoilette gestammelt, da spielt er ein serbisches Roma-Lied, die Titelmelodie aus Emir Kustoricas Film «Time of the Gypsies», so zartfühlend, dass einem die Tränen kommen. Der Balkan scheint es dem musikalischen Grenzgänger ohnehin weit mehr angetan zu haben als die ostjüdische Welt. Kulturelle Hintergründe sind dabei nicht wichtig, Nigel Kennedy greift auf, was ihn inspiriert. Zutaten aus allen Himmelsrichtungen, zumeist nicht koscher, verarbeitet das englisch-polnische Gespann zu einem raffinierten Klangmenü, die eine oder andere Plattitüde wird mit virtuosen Spielereien gekonnt kaschiert.

Zur Zugabe, dem Csardas von Monti, tanzen die umjubelten Künstler spielend durch die Sitzreihen. Ein Hauch von Volksfeststimmung, bevor der Kaffeehaus-Evergreen auf der Bühne genüsslich zerlegt wird. Kennedy veralbert seine Fans. Ein Virtuose wie er, der mit seiner Kunst riesige Brücken schlägt, darf das.