In Berlin, diesem urbanen Gedächtnisraum, ist einmal mehr ein Kampf um architektonische Erinnerungssymbole entbrannt. Zwölf Jahre nach der deutschen Einheit wird gleich an mehreren Schauplätzen mit viel Engagement und noch mehr Ressentiment darum gerungen, welche ideologische Bedeutung, welcher Erinnerungswert historischen Bauwerken und Gedenkstätten beizumessen ist. Momentan stehen drei Gedächtnisorte im Fokus der Debatte. Neben der notorischen Frage der Gestaltung des Schlossplatzes, die selbst nach dem Votum des Bundestages für die Rekonstruktion der barocken Fassade noch nicht rechtlich bindend beantwortet ist, erregen die Neue Wache und das vis-à-vis gelegene Forum Fridericianum die Gemüter. Beidesmal entzündet sich der Streit an der Frage, inwieweit sie in ihrer Geschichte, zumal für militaristische Zwecke, instrumentalisiert wurden und ob sie deshalb nicht oder nur teilweise repräsentativ für das heutige Deutschland seien.
Nachdem sich Kultursenator Thomas Flierl Mitte der Woche neuerlich für eine «Säkularisierung» der nationalen Gedenkstätte der Bundesrepublik ausgesprochen hat, weil diese ihren Anspruch verfehle, allen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gleichermaßen gerecht zu werden, hat jetzt der CDU-Landesvorsitzende Christoph Stölzl scharfe Kritik an dem PDS-Politiker geübt. Anfang der neunziger Jahre hatte Stölzl als Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl an der Umgestaltung des Schinkel-Baus mitgewirkt. Flierl mische sich «leichtfertig und zugleich geschichtsklitternd in Angelegenheiten des Bundes ein». Es gebe in Berlin «viele und ungleich dringlichere Probleme, für die der Kultursenator tatsächlich zuständig ist». Die Aussage des Flierl-Sprechers Torsten Wöhlert, die Neue Wache und ihr Herzstück, die vergrößerte Kollwitz-Pietà, seien ungeeignet, um «widerspruchsfreies Gedenken zu zelebrieren», konterte Stölzl mit dem Vorwurf, die PDS prangere jetzt eine Gedenkpolitik an, die ihre Vorläuferpartei «in äußerst bigotter Manier» praktiziert habe.
«Mit seinen geschichtsvergessenen Äußerungen stellt sich Flierl in die SED-Tradition», sagte der frühere Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums. Auch die Forderung des Kultursenators nach der Aufstellung eines Rosa-Luxemburg-Denkmals vor der PDS-Zentrale sowie das Votum seiner Partei für die Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille an Daniela Dahn zeuge von dem «nicht hinnehmbaren Projekt, deutsche Erinnerungszeichen ideologisch zu instrumentalisieren». Flierls Kritik an der ausnahmslos allen Menschenopfern gewidmeten Gedenkstätte unterschlage, dass in der DDR der Versuch unternommen worden sei, das Bauwerk als ein «Mahnmal für die Opfer für des Militarismus und Faschismus» zu funktionalisieren. Mit dieser Etikettierung hat sich die SED-Diktatur, so Stölzl, indes selbst ad absurdum geführt, weil sie die Bewachung des Monuments mit militaristischem Pomp inszenierte.
Den Einwand, dem Herzstück der Neuen Wache selbst sei ein ähnlicher Widerspruch immanent, will Stölzl nicht gelten lassen. Käthe Kollwitz habe ihre Pietà aus Trauer über den Verlust ihres im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohnes Peter geschaffen, damit aber keine verborgene Apologie des heroischen Todes auf dem Schlachtfeld beabsichtigt. Gleiches gilt seiner Meinung nach für die Marmorstatuen der Generäle Gerhard von Scharnhorst und Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz, die Flierl zwar nicht an ihrem Ort beidseits der Neuen Wache, wohl aber gegenüber im Prinzessinnengarten wiederaufstellen will.
Die von Christian Daniel Rauch heroisch ins Standbild gesetzten Feldherren sind führende Figuren der Befreiungskriege gegen Napoleon. Auch dies ein Beweis dafür, wie subtil mitunter die Zwischentöne politischer Rhetorik sind, wenn es um die Bewertung historischer Erinnerungen geht. Zwei Generäle in Lauerstellung vor der Bundesgedenkstätte - ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Oder die von Senator Flierl geforderte «neue Gedenkkultur», in der alter Wein in neuen Schläuchen ausgeschenkt wird?
Siehe auch S. 18