Gute Zeiten, Krisenzeiten

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Stefan Kirschner und Volker Blech

Ein Engländer auf der Siegertreppe: Shakespeares «Romeo und Julia» mit knapp 180 000 und «Hamlet» mit 127 000 Theaterbesuchern liegen in der Publikumsgunst bundesweit vorn und hängen selbst die deutschen Klassiker ab: Goethes «Faust» (123 000) verpasst knapp die Silbermedaille. Lessings «Nathan» und Kleists «Der zerbrochne Krug» folgen nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins für die Spielzeit 2000/01 auf den Plätzen vier und fünf. Der klassische Boulevard mit «Kunst» (55 000) oder «Barfuß im Park (37 000) folgt deutlich abgeschlagen.

Insgesamt besuchten mehr Menschen klassische Konzerte, Opernhäuser und Sprechtheater. Im Vergleich zur Saison davor stieg die Zahl der verkauften Tickets um über 500 000 auf 35,5 Millionen. Dies ist aber ausschließlich den Privattheatern und Festspielhäusern zu verdanken. Bei den Aufführungen der öffentlichen Theater wurden 20,1 Millionen Zuschauer gezählt, etwas weniger als in der vorangegangenen Saison mit 20,2 Millionen. Die privaten Theater verzeichneten mit 11,4 Millionen Besuchern über fünf Prozent mehr. 1,6 Millionen besuchten die Festspielhäuser (plus sieben Prozent). Die Orchesterkonzerte lockten 2,4 Millionen Liebhaber an.

Der Trend lässt sich in Berlin nicht beobachten. Konzerthäuser und Orchester haben in der Hauptstadt im Jahr 2001 im Vergleich zum Vorjahr mit 471 000 Tickets 80 000 weniger verkauft. Das Konzerthaus am Gendarmenmarkt hatte 152 000 Besucher, 13 000 weniger als im Jahr zuvor. «Weniger Geld, weniger Aufführungen, weniger Besucher - das ist doch logisch», sagt Pressechef Martin Redlinger. So hatte man sich aus Spargründen von einer Abo-Reihe verabschiedet. Uneinheitlich ist das Bild bei den drei Opernhäusern: Die Deutsche Oper konnte leicht, die Staatsoper gewaltig zulegen. 261 000 Besucher kamen ins Haus Unter den Linden, 34 000 mehr als im Jahr zuvor. «Weil wir so gut sind», begründet lachend Intendant Georg Quander. Super gelaufen sei die Sonderaktion für Jugendliche «Oper zum Kinopreis». Einen kurzen Rückgang bemerkte Quander nur im Oktober bei auswärtigen Besuchern. «Cosi fan tutte» ist mit 99 Prozent Auslastung am besten gelaufen, danach kam gleich «Norma». Einbrüche musste dagegen die Komische Oper verzeichnen. 184 000 kamen zur Behrenstraße, 9000 weniger. Begründet wird es u.a. mit gestiegenen Kartenpreisen zu Saisonbeginn.

Das Deutsche Theater (DT) legte im ersten Jahr der Intendanz von Bernd Wilms deutlich zu: In der am Sonntag endenden Saison stieg die Zahl der Besucher auf 157 000. Im Vergleich zum Langhoff-Jahr 2000 ist ein Plus von 20 000 Besuchern, die Auslastung liegt laut DT-Pressesprecher Thomas Müller bei knapp 80 Prozent. Der absolute Renner ist Lessings «Emilia Galotti». Bei 99 Prozent liegt die Auslastung des mit dem Friedrich-Luft-Preis der Berliner Morgenpost ausgezeichneten Inszenierung von Michael Thalheimer. Auf Platz zwei folgt mit 96 Prozent Robert Wilsons «Caligari». In den Kammerspielen läuft «Antigone» am besten.

«Krisenzeiten sind gute Zeiten fürs Theater», versucht Claus Peymann, der Direktor des Berliner Ensembles, den neuerlichen Zuschauerrekord trotz des 11. Septembers zu erklären. «Die Menschen suchen Zuflucht zu einem Ort, an dem ein Sinn, an dem Antworten zu finden sind.» Bei «fast 90 Prozent Auslastung haben wir eigentlich nur Hits» im Spielplan. Besonders gut laufen «Arturo Ui», «Der Stellvertreter» und «Nathan». Im Vergleich zur letzten Saison stieg die Zahl der verkauften Tickets um 8000 auf rund 208 000.

Auf ein fast ausgeglichenes Jahr kommt das Renaissance-Theater mit gut 77 000 Besuchern. Dass sich Produktionen wie «Kunst» und «Marlene» gut verkaufen würden, war Horst Filohn klar. Aber die 46 ausverkauften Vorstellungen von «Drei Mal Leben» haben selbst den Intendanten überrascht.