Kultur ist keine Feuerwehr

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Bettina Göcmener und Volker Blech

Jutta Limbach, die neue Präsidentin des Goethe-Instituts Inter Nationes (GI), war zuletzt Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Zuvor, von 1989 bis 1994, war sie Justizsenatorin in Berlin. Die 68-Jährige bezeichnet sich selbst als Optimistin und Verfassungspatriotin. Bei ihrer Arbeit im GI möchte sie die Menschenrechte und die Herrschaft des Rechts in den Vordergrund stellen.

Frau Limbach, wenn Sie drei Repräsentanten der deutschen Kultur nennen sollen . . .

Jutta Limbach : . . . denke ich zuerst immer an Personen. Im Bereich der Literatur ist es Günter Grass. Bei den Institutionen denke ich an die Berliner Philharmoniker und als Drittes an die Komische Oper.

Gut eine Woche sind Sie jetzt offiziell im Amt. Was haben Sie als erstes verändert?

Ich habe alsbald Kontakt zu den Parlamentariern aufgenommen und mich beim Kulturausschuss vorgestellt. Weil ich weiß, welche wichtige Rolle die Finanzmittel spielen, habe ich mit dem Haushaltsausschuss Verbindung aufgenommen.

Mittel in Millionenhöhe wurden gekürzt, mehr als 30 Institute geschlossen. Beginnt unter Ihrer Leitung eine Phase der Wiedereröffnungen - zumal Bundesaußenminister Joschka Fischer betont hat, dass das Goethe-Institut mehr Geld bekommen soll?

Herr Fischer äußert sich sehr vorsichtig dahingehend, dass keine weiteren Goethe-Institute geschlossen werden. Angesichts der weltpolitischen Situation ist zu überlegen, wo weitere Institute eröffnet werden sollten. Eine erste Entsandte haben wir bereits in Kabul, ein weiterer ist in Havanna. Das Goethe-Institut kennt auch andere Organisationsformen: In Mittel- und Osteuropa gibt es Lesesäle und Kontaktstellen, wo deutsche Kultur vermittelt wird. In Kabul unterstützt das GI den Wiederaufbau einer Bibliothek.

Eine Bibliothek in Kabul hat wenig mit deutscher Kultur zu tun.

Der Aufbau von zerstörten Einrichtungen ist Teil deutscher Kulturarbeit. Nur so schaffen sie im Partnerland Institutionen, die die kulturelle Wissbegier bedienen. In der Nachbarschaft einer Bibliothek kann man später einen deutschen Lesesaal eröffnen.

Menschenrechte, Rechtsstaat, Sozialstaat waren Schwerpunkte Ihrer bisherigen Arbeit. Ist der Wechsel zum Goethe Institut/Inter Nationes nicht ein gewagter Schritt?

Nein, denn ich wusste, dass das Goethe-Institut den Kulturbegriff weit fasst. Angesichts der gegenwärtigen weltpolitischen Situation muss das GI bei seiner Arbeit die Menschenrechte und die Herrschaft des Rechts in den Vordergrund stellen.

In Ihrer Antrittsrede bezeichneten Sie das Grundgesetz als Exportschlager?

Ja, es hat vielfach als Vorbild gedient. Unter dieser Verfassung haben wir ein halbes Jahrhundert im Äußeren wie im Inneren in Frieden gelebt.

Glauben Sie, dass Sie damit in islamischen Ländern Gehör finden?

So treuherzig bin ich nicht. Aber wir müssen dort erklären, warum wir uns für diese freiheitliche Verfassung entschieden haben, insbesondere für die Trennung von Kirche und Staat. Das führt häufig zu dem Kurzschluss, dass Religion und Ethik keine Rolle spielten. Das Gegenteil ist der Fall. Es muss deutlich werden, dass auch eine pluralistische Gesellschaft gemeinsame Grundwerte kennt.

Politiker, nicht nur der Außenminister, rufen in Krisensituationen gerne nach der Kultur.

Der Bundesaußenminister wollte die konfliktvorbeugende Funktion der Kultur hervorheben. Doch sie ist keine Feuerwehr. Einen gemeinsamen Verständigungshorizont zu schaffen, braucht einen langen Atem. Sich auf einen kulturellen Dialog einzulassen, ist etwas anderes, als mit Politikern zu verhandeln.

Viele fürchten derzeit den Krieg der Kulturen.

Das hängt mit dem 11. September zusammen, aber deshalb darf man nicht der islamischen Religion und den Gläubigen den Kampf ansagen. Wir dürfen die deformierte religiöse Auffassung der Islamisten nicht mit dem Islam gleichsetzen. Die Konfrontation besteht vielmehr zwischen der zivilisierten Welt und den Terroristen.

Welche Regionen und Städte haben bei den GI-Außenstellen Priorität und warum?

Die Aufmerksamkeit richtet sich gegenwärtig auf Zentralasien, die arabische Welt und Schwarzafrika, weil auch dort ein gegenseitiges Verständnis notwendig ist.

Hat die deutsche Sprache im Ausland noch eine Chance?

Das Interesse ist nach wir vor groß. Nach dem Ende des Kalten Krieges habe ich die Beobachtung gemacht, dass in Mittel- und Osteuropa häufig deutsch gesprochen wird. Als ich kürzlich in Warschau war, hörte ich, dass dort die jungen Menschen an «Wendeliteratur» interessiert sind, an Autoren wie Wolfgang Hilbig oder Thomas Brussig, die sich mit dem Zerfall der DDR auseinandersetzen. Das ist für Menschen interessant, die ähnliche Transformationsprozesse von der Diktatur zur Demokratie erlebt haben.

Sie wollen für die Vorzüge des deutschen Systems werben, aber auch in Deutschland ist vieles nicht in Ordnung - wie die Fälle Möllemann oder Walser bestätigen. Wie erklärt man das im Ausland?

Wenn ich im Ausland über Menschenrechte oder die deutsche Zivilgesellschaft spreche, muss ich mich auch auf den Unterschied von Ideal und Wirklichkeit in der westlichen Welt einlassen. Wir können das Wiederaufleben des Antisemitismus nicht leugnen. Das diskreditiert unsere Grundwerte nicht. Diese fordern vielmehr die aktive Abwehr solchen Ungeistes heraus.

Berlin hat als Hauptstadt eine große Sogwirkung auf Institutionen. Muss nicht auch das Goethe-Institut seinen Hauptsitz nach Berlin verlegen?

Nein. Es ist selbstverständlich, dass wir auch ein Standbein in Berlin haben müssen, weil hier die politische Musik gespielt wird. Aber das macht es nicht unmöglich, die zentrale Arbeit, die den 127 Goethe-Instituten im Ausland zugute kommen soll, in München zu leisten.