«Das würde ich niemals tun»

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Über die Vorwürfe gegen seinen neuen Roman «Tod eines Kritikers» sprach Uwe Wittstock sprach mit dem Schriftsteller Martin Walser.

Herr Walser, Ihr neuer Roman stellt einen literarisch eingekleideten Angriff auf Marcel Reich-Ranicki dar. Warum haben Sie dieses Thema gewählt?

Martin Walser: Bitte kein «Angriff», sondern der Roman eines Autors, der 25 Jahre lang brav zugeschaut hat, und jetzt hat er halt seine Erfahrungen in sein Roman verwandelt. Zunächst aber: Sie beziehen sich auf einen Artikel von Frank Schirrmacher in der «Frankfurter Allgemeinen» (FAZ). Das Manuskript meines Buches ist erst gestern freigegeben worden. Außer Schirrmacher, der es vorab bekam, kann es wohl kaum jemand gelesen haben. In seinem Artikel begründet Schirrmacher, weshalb mein neuer Roman nicht in der FAZ vorabgedruckt wird, obwohl die sechs vorangegangenen dort vorabgedruckt wurden. Das ist der sachliche Vorgang. Er schreibt also öffentlich über ein Buch, das noch gar nicht erschienen ist. So etwas hat es seit 50 Jahren nicht gegeben, kein Leser kann überprüfen, ob die Vorwürfe, die jetzt gegen mich erhoben werden, richtig sind oder frei erfunden.

Wovon handelt denn Ihr Roman?

Von der Machtausübung im Kulturbetrieb zur Zeit des Fernsehens. Aber Schirrmacher behauptet, es handele von meinen angeblichen Mordphantasien Reich-Ranicki gegenüber. Er belegt diese Behauptung mit einem Zitat aus meinem Roman: «Das Thema war jetzt, dass Hans Lach einen Juden getötet hatte.» Hans Lach ist in dem Buch der Schriftsteller, der einen Kritiker getötet haben soll. Doch der zitierte Satz stammt von einem Journalisten, der über den angeblichen Mord für seine Zeitung schreibt. Dieser Journalist will die Affäre, genau wie Schirrmacher jetzt in der Realität, zu einem Skandal des Antisemitismus hochstilisieren.

Schirrmacher macht aus meinem Buch eine Mordphantasie an einem Holocaust-Überlebenden. Er behauptet, ich hätte über nichts anderes geschrieben als über den Mord an einem Holocaust-Überlebenden. Aber das ist niemals das Thema meines Romans, ich bin doch nicht wahnsinnig, das würde ich niemals tun.

Was ist denn das Thema Ihres Buches?

Wie es den Autoren geht, wenn über sie Macht ausgeübt wird.

Doch schon der Name des Kritikers in Ihrem Roman, André Ehrl-König, zeigt, dass Sie im Grunde Reich-Ranicki meinen.

Dass man ihn in dieser Figur sehen kann, liegt auf der Hand. Ich habe auch gewisse Sprechweisen von Reich-Ranicki parodistisch in den Roman übernommen. Ich sehe keinen Grund, weshalb ich das nicht darf. Man darf in der Literatur jede beliebige öffentliche Figur parodieren, warum nicht Reich-Ranicki? Herr Schirrmacher behauptet nun, aus meiner Parodie sei die «Verballhornung des Jiddischen herauszuhören». Reich-Ranicki hat aber nie Jiddisch gesprochen, und ich habe keine Sekunde an etwas Jiddisches gedacht. Das sind Schirrmachers opportunistische Phantasien. Außerdem schreibt er, in meinem Buch sage der beleidigte Schriftsteller dem Kritiker ins Gesicht: «Ab 0.00 Uhr wird zurückgeschlagen.»

Eine Paraphrase auf den Satz, mit dem Hitler den Überfall auf Polen, den Beginn des Zweiten Weltkriegs rechtfertigte.

Richtig. Und Schirrmacher lastet mir diesen Satz an, als hätte ich ihn ohne jede Distanz benutzt. Im Roman schildere ich aber das Entsetzen aller Leute darüber, dass sich dieser Autor zu so einem schrecklichen Satz versteigt. Und Schirrmacher tut jetzt so, als hätte ich selbst und nicht eine in diesem Augenblick kritisch beleuchtete Romanfigur diesen Satz gesagt.

Es gehört zwangsläufig zur Literatur, dass der Autor nicht selbst handelt und selbst spricht, sondern dass er seine Figuren handeln und sprechen lässt.

Sicher. Aber der Autor identifiziert sich weiß Gott nicht mit jeder seiner Figuren. Was in einem Roman geschieht und gesagt wird, kann nur danach beurteilt werden, wie es eingebettet ist in die Romanatmosphäre und Prosa. Man kann aus einem Roman nichts verabsolutieren. Dies aber tut Schirrmacher in seinem Artikel unentwegt. Es ist doch verrückt, mir zu unterstellen, ich würde Reich-Ranicki oder den Kritiker in meinem Roman angreifen, weil sie Juden sind. Das ist überhaupt nicht mein Interesse. Mir geht es darum, wie so eine Figur wie Reich-Ranicki seine Macht im Literaturbetrieb ge- und missbraucht.

Die Behauptung, Ihr Roman habe eine antisemitische Tendenz, ist in der Tat alarmierend. Zumal vor den Hintergrund der Vorwürfe, die gegen Sie wegen Ihrer Paulskirchenrede erhoben wurden.

Diese Vorwürfe gegen meine Paulskirchenrede sind unsinnig. Herr Ignatz Bubis, der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, hat seine Vorwürfe des «latenten Antisemitismus» und der «geistigen Brandstiftung» gegen mich zurückgenommen. Zurückgenommen!

Die neuen Angriffe treffen Ihr Buch also gar nicht?

Es gibt nichts Verfälschenderes, als aus meinem Kritiker-Roman einen Roman über etwas Jüdisches oder gar Holocaustnahes zu machen. Schirrmachers Vorwürfe kann zurzeit niemand überprüfen, weil fast niemand das Buch gelesen hat. Vier professionelle Leser kennen das Manuskript bislang, Siegfried Unseld, Günter Berg, Thorsten Ahrend und Hubert Spiegel. Keiner dieser erfahrenen Literaturkenner hat auch nur einen Hauch der Kritik angedeutet, die Schirrmacher hier vorträgt.

Hat es, seit diese Vorwürfe gegen Sie erhoben wurden, irgendeinen Kontakt zwischen Ihnen und Reich-Ranicki gegeben?

Nein. Den gibt es ja auch sonst nicht.