Die Politik macht sich breit in Cannes

Sobald die Auswahl für die 55. Festspiele von Cannes bekannt war, wurde vom «politischsten Festival seit Jahren» gesprochen: mit einem israelischen und einem palästinensischen Film, einem vom Vatikan gebannten aus Italien und einer Attacke auf die US-Waffenlobby.

Zunächst jedoch wurde Cannes von einem politischen Sturm im Wasserglas heimgesucht: Der American Jewish Congress hatte zum Boykott aufgerufen, da Frankreich antisemitische Tendenzen toleriere. Das empfanden nicht nur einheimische jüdische Regisseure wie Claude Lanzmann und Claude Lelouch als «Beleidigung für jeden von uns Franzosen» - auch die jüdische Gemeinde Hollywoods zeigte sich unbeeindruckt.

Allmählich macht sich die Politik auch auf den Leinwänden breit. Amos Gitais «Kedma» ist formal schwere Kost: Das gleichnamige Schiff setzt 1948 KZ-Überlebende an einem Strand in Palästina ab, wo sie gleich aufs Neue verfolgt werden, nun von britischen Mandatssoldaten. Die beeindruckendste Szene des spröden Films zeigt, wie sich der Weg der Juden mit dem einer anderen Flüchtlingsgruppe kreuzt. «Wir fliehen vor den Briten», erzählen die Einwanderer. «Wir fliehen vor den Juden», entgegnen die Palästinenser.

Unheimliche Aktualität besitzt auch «Bowling for Columbine», in dem Michael Moore den Gründen für die Schießwut Amerikas nachspürt. Er geht mit Überlebenden des Littleton-Schulmassakers in jenen Supermarkt, in dem die Mörder ihre Kugeln kauften, und stellt den Waffen-Lobbyisten Charlton Heston in dessen eigener Villa. Wie immer ist Moore wenig subtil. Das Resultat jedoch rechtfertigt die Methode. Charlton Heston flüchtet mitten im Interview. Schlimmer jedoch als er kommen die Medien weg, die mit aufgeblasenen Geschichten die Angstpsychose der Nation steigern und die Verkaufszahlen von Waffen - und damit indirekt die Statistik der gewaltsamen Tode. hgr