Büro-Container flutschen über die metallische Bühne. Telefone bimmeln. AOL meldet: «Sie haben Post!» An den Wänden Embleme von McDonald's, Tchibo, Mercedes, Shell und Nike - Brechts «Die heilige Johanna der Schlachthöfe» ist im Business der Gegenwart angekommen. Über der Bühne laufen auf Monitoren die aktuellen Aktienkursen. Bevor wir es vergessen: Diese Koproduktion vom TAT aus der Börsenmetropole Frankfurt und der Schaubühne wird von zwei Banken gefördert. So funktioniert kritische Kultur im Kapitalismus.
Brecht schrieb sein Lehrstück 1929/30 unter dem Eindruck von Börsenkrach, Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Als es dreißig Jahre später erstmals auf die Bühne kam, wurde Gustaf Gründgens' Inszenierung bewundert, aber das Publikum der jungen Bundesrepublik fand den Stoff abgestanden. Tom Kühnel nun entdeckt in der Geschichte der immensen Börsenspekulationen des Fleischmarktkönigs Pierpont Mauler und der Heilsarmee-Johanna, die von der christlichen Pazifistin zur Klassenkämpferin wird, neue Aktualität. Er platziert sie in der heutigen, von Globalisierung bestimmten Welt. Und weil die Regie weiß, dass das Instrument «Agitationstheater» stumpf geworden ist, verlegt sie sich auf den formalen Transfer des «Milieus» und auf die Demonstration börslicher Mechanismen.
Kein Chicago. Kein Blut. Keine muhende Kuh. Die Schlachthöfe werden nicht mehr ins Bild gerückt. Nur noch die anonyme Office-Welt. Clean und seelenlos. Zwar hat die Organisation der «Schwarzen Strohhüte» noch nicht ganz ihr Heilsarmee-Image abstreifen können, sie ähnelt einem Mischmasch aus Klampfenzirkel und Menschenrechtsgruppe. Auch hier aber steht das Telefon nicht still. Und die arme Klientel ist, wenn sie mal eben hereinschaut, den Organisatoren eher lästig. Man wartet auf Maulers Knete, um die Miete zu bezahlen.
Wie spielt man die Armen, die Hungernden, die Ausgebeuteten? Suse Wächter hat menschengroße Puppen gebaut, die von vermummten Spielern ausdrucksvoll über die Bühne geführt werden. Leidende, jammernde, verzweifelte Menschen aus der Dritten Welt. Es stirbt ein Kind. Es werden Streikende erschossen. Am Ende kommt sogar ein Baby zur Welt - alles Puppen! Die Mitwirkung dieser «Darsteller» hat gewiss dramaturgische Bedeutung. Nur wirkt die Darstellung des Elends tief befremdlich durch die gar zu klischeehaften Figuren.
Neben der szenischen Umsetzung des Büro- und Kapitalmarkt-Motivs hat Kühnel offenbar nicht viel Lust an Brechts Stück, das mit seinen Versen und der Parodie auf Schiller und Goethe auch ein Sprachkunstwerk ist. Die Darsteller sind derart im Stress, dass es zur Vertiefung der vorgeführten Figuren nicht langt. Der Großkapitalist Mauler, wie Thomas Mehlhorn die Figur ohne Dynamik andeutet, hat weder Saft noch Kraft, von Blut ganz zu schweigen. Der gerissene Geschäftsmann bleibt pure Behauptung. Und Anne Tismer tönt als farblose Johanna drei ganze Stunden mit einer nervend naiven Kindstimme, bis sie endlich zum Klassenkampf erweckt ist. Der anstrengenden Aufführung würden lebendigere Menschen nicht schaden.
Schaubühne am Lehniner Platz. Kurfürstendamm 153. Kartentel.: 89 00 23. Nächste Vorstellungen: morgen, 22., 23. 5, 20 Uhr.