Der frühere Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847-1934) bleibt Berliner Ehrenbürger. Allerdings scheinen seine Tage gezählt zu sein. Der Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses verschob zwar gestern den Antrag der Bündnisgrünen, Hindenburg von der Ehrenbürgerliste zu streichen. Aber die Chancen, dass sich dafür im Parlament eine Mehrheit findet, scheinen nach der gestrigen Anhörung des Historikers Heinrich August Winkler, der ein Standardwerk zur Weimarer Republik verfasst hat, erheblich gestiegen zu sein.
Während Bündnisgrüne und PDS in der Aberkennung der Ehrenbürgerschaft einig sind, gehen bei den anderen Fraktionen die Meinungen auseinander. CDU-Landesvorsitzender Christoph Stölzl hatte im Vorfeld der Sitzung angeregt, für die Abstimmung im Parlament den Fraktionszwang aufzuheben und so jedem Abgeordneten die Entscheidung selbst zu überlassen. Das käme auch der SPD entgegen. Während Parlamentspräsident Walter Momper schon vor einiger Zeit klar gemacht hat, dass er gegen eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft ist, plädiert die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Brigitte Lange, dafür.
Es sei eindeutig belegt, dass Hindenburg, als er im Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannte, sich der "Tragweite seines Handelns bewusst war". Im zweiten Halbjahr 1932 noch habe sich Hindenburg zweimal öffentlich von Hitlers Ansinnen, zum Reichskanzler ernannt zu werden, mit der Begründung distanziert, dass er keine Parteidiktatur etablieren wolle. Im Januar habe offensichtlich Hindenburgs "Gewissen geschwiegen". Aber es "wäre kein Verfassungsbruch gewesen, wenn er die Regierung von Schleicher im Amt belassen hätte", stellte Winkler klar.
Mit der Unterzeichnung der "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" nach dem Reichtagsbrand, dem Gegenzeichnen des Ermächtigungsgesetzes und dem Akzeptieren eines "rassistischen Diskriminierungsgesetzes" mit dem "nicht-arische" Beamte in den Ruhestand versetzt werden konnten, habe Hindenburg schließlich "entscheidend zum Weg in die Katastrophe beigetragen", betonte Winkler. Und deshalb sieht der Historiker keinen Grund, Hindenburg in der Liste der Ehrenbürger zu belassen.
Zum Ehrenbürger ernannt wurde Hindenburg gemeinsam mit Hitler an dessen Geburtstag, dem 20. April 1933. Zur Begründung hieß es damals: Beide hätten ihren Beitrag zur "nationalen Wiedergeburt" Berlins geleistet. Es blieb nicht bei dieser einen Ehrung. Einige hundert Städte und Gemeinden in Deutschland machten Reichspräsident und Reichskanzler in einer Art Kollektivernennung zu Ehrenbürgern. Während Hitler meist nach 1945 gestrichen wurde, blieb Hindenburg mancherorts stehen. In Potsdam zeichnet sich eine Mehrheit für die Aberkennung aus, Berlin könnte demnächst folgen.