Und immer wieder sind es die Kleinigkeiten, die den Menschen vom großen Glück trennen: Im Fall der Natalja Wissarionova ein knappes Dutzend Minuten. In exakt 11 mal 60 Sekunden soll sie, die von Russland nach Polen ausreisen will, ihren Pass erhalten, auf den sie 25 Jahre gewartet hat. Doch es kommt noch eine andere Kleinigkeit dazwischen: zwei Hühnereier.
Es sind die letzten von Nataljas letztem Huhn, das sie gerade geschlachtet hat. Ohne Huhn aber kein Viehbesitz und ohne Viehbesitz kein Pass der Kategorie D für Kleinbauern mit Viehbesitz. Da ist Zollbeamter Fjodor Fjodorovic eisern. Aber einen Floh, in der Amtsstube gefangen, kann Fjodor nach Konsultierung der Vorschriften als Viehbesitz durchgehen lassen. Allerdings nur vorübergehend.
"Der Pass" heißt dieses bürokratische Drama in zwei Akten nach Pierre Bourgeade, und zu sehen ist es jetzt in einer Inszenierung des russischen Regisseurs Grigory Kofman im Hackeschen Hof-Theater. Zwar steht das beantragte Dokument im Zentrum, es geht aber um weit mehr: Der Pass ist Papier gewordene Sehnsucht, die politische Grenze nur Symbol für das Begehren nach Grenzüberschreitung auch in emotionaler Hinsicht. Da gibt es nämlich noch ein altes Liebeslodern zwischen Natalja und Fjodor. Und auch damals war er es, der diese Grenzüberschreitung verhindert hat.
In Grigory Kofmans Inszenierung spielen diese zarten Bande leider nur eine Nebenrolle. Auch der groteske Surrealismus, der dem Stück innewohnt, findet kaum Platz. Trotzdem: Kofman inszeniert solide und erzählt unterhaltsam. Was vor allem an den Darstellern liegt. Jens-Uwe Bogadtke gibt den Beamten und Iduna Hegen ist eine hinreißende Natalja. Am Ende wird sie es sein, die den Spieß noch mal kräftig umdreht.