Als Ernst Cramer am 28. Januar 1913 in Augsburg geboren wurde, da schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Viele bei uns im Lande und sonst in der Welt dachten so. Aber schon anderthalb Jahre danach brach so gut wie alles zusammen. Die "gute alte Zeit" war nicht mehr, der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Und mit ihm begann ein knappes Jahrhundert, das angefüllt war mit Angst und Schrecken, mit Gewalt und Terror, mit Krieg und Vertreibung, mit Unterdrückung und Völkermord.
Genau dieses Jahrhundert hat Ernst Cramer durchlebt. Als Deutscher und als Amerikaner; als ein Jude, dessen Eltern und dessen Bruder zu Opfern der NS-Vernichtungsmaschinerie wurden; als Häftling im Konzentrationslager Buchenwald und als Emigrant in Amerika; als US-Offizier in Deutschland nach Ende des Krieges; dann als Journalist und als einer der führenden Köpfe in einem großen Verlag; als Freund von Axel Springer und als Berliner.
Ich meine schon, dass es bemerkenswert ist: Ernst Cramer war dabei nie einer von denen, die für sich selbst Öffentlichkeit gesucht haben. So gründlich er bei der Arbeit ist, so bescheiden bleibt er im Hintergrund. Und das aus gutem Grund. Denn so gelang und gelingt es ihm immer wieder, Bedeutendes zu bewirken und es mit anderen zu gestalten.
Mich persönlich hat Ernst Cramer über viele Jahre hinweg beeindruckt durch seine Art, mit der deutschen Vergangenheit (die ja auch eine jüdische Vergangenheit ist) umzugehen. Ich bin davon überzeugt, dass er es war, der dafür das Wort vom "richtigen Gedenken" geprägt hat. Wir sind dieses Gedenken, so Ernst Cramer, allen schuldig, die in dieser Vergangenheit gelebt, gewirkt und gelitten haben. Allein deshalb schon dürfen wir nicht vergessen - nicht nur der Opfer wegen, sondern gerade um der Generationen willen, die nach uns kommen. Das heißt: "Das Gedenken an die Nachfahren verbietet uns, das Gedenken an die Vorfahren auszublenden".
Der Axel-Springer-Verlag verdankt ihm viel. Er hat ihn an entscheidender Stelle geprägt und mitgeholfen, ihn zu dem zu machen, was er heute ist: ein wichtiges Unternehmen in Deutschland und ein Schmuckstück für Berlin.
Bleibt noch zu sagen, dass Freundschaft bei Ernst Cramer einen ganz besonderen Rang hat. Ich muss gestehen, dass ich noch heute stolz an den Moment zurückdenke, an dem er mir das Du angeboten hat. Wir waren schon vorher vertraut. Wegen unserer Sorge um die Zukunft Israels. Zum anderen, weil wir beide entschlossen sind, alles zu tun, damit der Antisemitismus nie wieder in Deutschland eine Rolle spielen wird. Und wir waren uns immer darin einig, dass Deutschland fest im Westen verankert sein muss, an der Seite unserer amerikanischen Freunde.
Bei dieser Freundschaft ist es geblieben. Und so grüße ich Ernst Cramer an seinem 90. Geburtstag - wie es bei Juden Brauch ist - mit dem Wunsch, dass er "Einhundertzwanzig" werden möge.
Klaus Schütz war 1967 bis 1977 Regierender Bürgermeister von Berlin und bis 1981 Botschafter in Israel