Madames rätselhafte Labyrinthe

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Gabriela Walde

Lange galt sie als nebulöse Randfigur der US-Kunstszene. Erst mit 70 Jahren wurde Louise Bourgeois entdeckt. Heute führt kein Weg mehr an der exzentrischen 92-Jährigen vorbei. Nun zeigt die Akademie der Künste eine Ausstellung mit fast 100 Zeichnungen und 22 Skulpturen.

Madame hat(te) ein Problem mit ihrem Herrn Papa. Normalerweise ist das kein Ansatzpunkt für einen Bericht über eine Künstlerin. Bei Louise Bourgeois allerdings schon. Ihr Werk strotzt von sexuellen Metaphern und obsessiven Symbolen. Auch heute noch mit 92 Jahren. "Enter at your own risk" steht an der Wand ihres Ateliers. Und da gibt es auch noch ein legendäres Foto von Robert Mapplethorpe, das zeigt die Grande Dame der Bildhauerei in einem Affenfell-Mantel gehüllt, diabolisch grinsend mit einem gemeinen Latex-Penis unter den Arm geklemmt. "La Fillette - Kleines Mädchen", so nannte sie ihre Skulptur, die 1968 entstand. Traumatische Szenerien, beklemmende "Cells", Käfige mit Draht umspannt, verborgene Ecken der Psyche, all das findet sich immer wieder in ihrer Kunst, sei es aus Latex, Stoff oder Gummi gearbeitet.

Ihr Vater führte über Jahre hinweg eine Menage à trois. Die Geliebte des Vaters, zugleich die Hausdame der Familie, saß nicht nur mit am gemeinsamen Esstisch, was Kinder und Mutter gleichermaßen bis zur Selbstverleugnung gedemütigt haben muss. Dieses Erlebnis und diese Belastung führt Bourgeois immer, immer wieder, in jedem Interview - Freud lässt grüßen - als Triebfeder ihrer künstlerischen Kraft an. Und knallt, wie einem armen BBC-Reporter geschehen, als rebellischen Akt ihrer Wut schon mal allerlei Geschirr wild auf den Boden und schreit "That's it!". Erst Mitte der siebziger Jahre entstand "Destruction of the Father", eines ihrer Schlüsselwerke. Eklige Gedärme, die an nichts Gutes denken lassen. Auch "Fillette" erinnert an eine sadistische Henkersmahlzeit, ein penisartiges Gewächs (Latex) baumelt von der Decke wie ein alter Schinken.

Das durch und durch ambivalente Thema "Familie" prägt bis heute die Ikonografie der US-Amerikanerin, die Paris 1939 verließ. Das macht die Ausstellung "Intime Abstraktionen" in der Akademie der Künste (AdK) sehr anschaulich deutlich. Eine gelungene Auswahl: Fast 100 Zeichnungen, 22 Skulpturen und eine Sound-Installation sind hier versammelt. Bourgeois' sperriges Oeuvre kann man auf zweierlei Weise präsentieren: in klaustrophobisch engen Räumen oder in sehr großen Hallen. Ein artiges Dazwischen wie in der AdK allerdings wird dem exzentrischen Werk kaum gerecht.

Wie nicht anders zu erwarten, ist die "spider" das Highlight. Der Berliner Deckenhöhe angepasst ist diese Spinne mit 3,26 Meter Höhe leider nur die domestizierte Variante. Wer ihre neun Meter große Schwester zur Eröffnung der Londoner Tate Modern im Turbinenraum gesehen hat, der weiß, wie unheimlich, machtvoll und bedrohlich das krakige Tier dort gewirkt hat.

Die Spinne ist so doppeldeutig wie fast alle Arbeiten der Bourgeois. In ihrer Mythologie ist sie die Urmutter, die Familie, die gute, die starke, die mit ihrem Netz zwar schützt, aber zugleich (ein)fängt. Ein an langen Fäden hängender Irrgarten, in dem man sich lebenslang verheddern kann, ohne je einen Ausweg zu finden. Das Labyrinth als Motiv finden wir auch in sehr vielen ihrer Zeichnungen wieder, hundertfach wiederholt und variiert. Ein monomanisches Gewirr von Kreisen, Knoten, Ellipsen und Zacken. Etwas ermüdend.

Louise Bourgeois ist Kult. Kaum ein Weg der Kunst führt derzeit an ihr vorbei. In einer lauten, grellen, hedonistischen, leicht vergänglichen Bilderwelt gilt die strenge Existenzialistin als Bewahrerin des Rätselhaften, Dunklen, Vagen. Alte, neue Rätsel blühen in einer virtuell entschlüsselten Welt. Sie hat warten müssen auf diesen Ruhm. Galt sie doch allzu lange als nebulöse Provokateurin im rigiden Amerika. Sie war 70 Jahre alt, ein Alter also, wo andere ihr spätes Werk ausstellen, da erfuhr sie erstmals Anerkennung. Das New Yorker Museum Of Modern Art widmete ihr 1982 eine Einzelausstellung.

Wer sich an die letzte Documenta erinnert, weiß, dass der für sie hergerichtete Saal einem Altarraum glich, in den die Kunstpilger einzogen wie in eine vom Papst geweihte Kirche. Zudem war Bourgeois die erste lebende Künstlerin, die die Eremitage in St. Petersburg vor einem Jahr mit einer Retro feierte. Interviews meidet sie wie der Teufel das Weihwasser. Wenn sie doch einmal eines gibt, dann inszeniert sich Madame standesgemäß mit Furor. Seit Jahren schon verlässt sie New York nicht mehr, reist durch die "Zeit, nicht mehr durch den Raum".

Aber die 92-Jährige malt noch jeden Tag. Und wie. Die Formen sind offener geworden, dafür noch dichter. Eines ihrer letzten Aquarelle ist sogar rosa. "Take it easy!" heißt es. Eine Existenzialistin sieht endlich bunt.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Moabit. Bis 27. Juli. Tel.: 390 76 155. Di.-So. 11-20 Uhr. Katalog: 28 Euro. Vortrag und Filme über Louise Bourgeois am 5., 23. und 30. 6.