Katrin Lesser und Ben Buschfeld erhielten einen Preis für ihr mustergültig restauriertes Reihenhaus aus den 1930er-Jahren

In der Hufeisensiedlung in Britz rund um die Parchimer Allee gibt es 679 Reihenhäuser und 1285 Wohnungen des Berliner Stadtplaners Bruno Taut (1880–1938). Keine der Wohneinheiten ist so authentisch erhalten wie das 1930 erbaute und jüngst mustergültig restaurierte Haus von Katrin Lesser und Ben Buschfeld. Die Landschaftsarchitektin und der Grafikdesigner, die bereits seit 15 Jahren in der Siedlung wohnen, haben 2010 das leer stehende Haus erworben und sich vorgenommen, es ganz im Sinne von Bruno Taut und unter seinem Motto „Licht, Luft und Sonne“ als Original wiederherzustellen. Mit aufwendiger Recherche, sehr viel persönlichem Einsatz und dem Hinzuziehen mehrerer Experten gelang das dem Ehepaar. Tausende Arbeitsstunden haben sie in das Objekt gesteckt und viel Geld investiert, über dessen Höhe sie vornehm keine Auskunft geben.

Fokus auf Denkmalschutz

Taut, der Architekt mit den klaren Formen und intensiven Farben, hätte seine Freude an dem Retro-Haus mit seinen 65 Quadratmetern auf zwei Stockwerken. „Wir halten Denkmalschutz für sehr wichtig“, sagt Katrin Lesser. Ihr Urgroßvater Wilhelm Lesser war einst ein bekannter Berliner Gartenarchitekt, über ihn schrieb sie ihre Diplomarbeit. Er schuf viele Spielplätze, arbeitete mit Taut zusammen und brachte offene Parks in die Stadt. Lesser kannte sich gut aus, nachdem sie im Auftrag des Berliner Senats zwei Gutachten zur Gartengestaltung der Hufeisensiedlung erarbeitet hatte und sich daraus der Aufbau einer „riesigen Datenbank“ (www.hufeisensiedlung.info) entwickelte. Und Ben Buschfeld fügt hinzu: „Wenn wir das Haus, das in einem miserablen Zustand war, schon retten wollten, dann konsequent richtig. Das ist uns gelungen.“

Mitte Juni haben die Eigentümer dafür in Athen aus den Händen des Star-Tenors Placido Domingo den Denkmalschutzpreis der EU-Organisation Europa Nostra erhalten. Sie sind zu Recht stolz darauf, denn diese Auszeichnung haben in Berlin bisher nur zwei Institutionen zugesprochen bekommen: das Neue Museum und das Max-Liebermann-Haus. Beide sind ungleich größere Gebäude, zudem öffentlich zugänglich. Lesser/Buschfeld hatten zunächst auch die Idee, in ihrem Haus ein kleines Bruno-Taut-Museum einzurichten.

Ein Museum ist es auch geworden, aber nicht für den Publikumsverkehr. Die Stadt hatte keine Fördermittel mehr für das Konservatorische und für Personal locker machen können, und auf ein ungewisses Abenteuer wollten sich die beiden nicht einlassen. Also haben sich die Taut-Liebhaber etwas anderes ausgedacht: Sie vermieten das Haus an Architektur-Fans (www.tautes-heim.de).

Im Gästebuch finden sich euphorische Anmerkungen. „Die Restaurierung sei perfekt gelungen, schreibt da ein Gast. Er sei tagelang ,auf Wellen von Begeisterungsstürmen gesegelt‘. Manchmal aber zieht das Paar auch selbst ein, wenn mal wieder ein Ortswechsel fällig und weil es so schön ist. Es sind nur ein paar Schritte von ihrer Wohnung.

Mut zur Farbe haben die beiden. Die Dielen im Haus sind ochsenblutrot getüncht, die Decke in der Küche und die Wände im Schlafzimmer im Obergeschoss sind kornblumenblau, das Wohnzimmer grün und das Kinderzimmer, das Taut auf seinen Entwürfen als „Kammer“ bezeichnet hat, ist ocker ausgemalt. Die Farben geben jedem Raum seine ganz eigene Atmosphäre. Die Wandfarben stammen von einer Spezialfirma aus Süddeutschland. Blau diente zu Tauts Zeiten der Abwehr von Fliegen, deshalb waren auch das Emaille und das Geschirr oft blau. Die Farbgebung geht an der Fassade weiter. Der Putz ist weiß, aber alle Fenster und die Eingangstür sind außen blau bemalt. „Dieses Dekor ist wichtig“, sagt Buschfeld. In jedem Raum hat man, korrekte konservatorische Praxis, ein kleines Viereck Wand mit ursprünglicher Bemalung zum Betrachten.

Die Konsequenz in der Farbgebung setzt sich bei der Einrichtung fort. Das Paar hatte einige Schwarz-Weiß-Fotos als Vorlage, entdeckte dann aber eine profunde Quelle: das monatlich erscheinende Mietermagazin von Tauts Wohnungsbaugesellschaft, in dem – in dieser Form zum ersten Mal in den frühen 1930er-Jahren – Tipps für die Wohnraumgestaltung gegeben wurden. „Das war eine faszinierende Lektüre“, sagen beide. „Obwohl die Grundidee eine Typenhaussiedlung war, gab es Empfehlungen zur individualisierten Gestaltung“, sagt Buschfeld. „Etwa im Stil von Arts and Crafts.“

Heutiger Stand der Technik

Monatelang suchte das Paar im Internet nach Einrichtungsgegenständen, die passten, graste zahlreiche Flohmärkte ab und beauftragte schließlich einen Schreiner mit dem Bau von Möbeln im historischen Stil. So steht in der Kammer eine Kommode, die Katrin Lesser an ihre Kindheit erinnert. Vor allem bei den Lampen wurden die Vorlieben der 30er eingehalten, bei Bildern war man sparsam: im Wohnzimmer eine Landschaft, im Schlafzimmer ein Akt, im Kinderzimmer ein Kinderbild. Ein Bakelit-Röhrenradio von 1932 brummt beim Einschalten, dann kann ein Sender gesucht werden. Das Gerät wurde mit einem MP3-Player optimiert, der hinten eingestöpselt werden kann.

130 Detailpläne von Taut haben Katrin Lesser und Ben Buschfeld zusammengetragen. So war es möglich, sogar einen der Kachelöfen nachbauen zu lassen; die Einzelteile der Originale fanden sich in den Kellern von Nachbarn. Geheizt wird heute allerdings mit Fernwärme. Die original alte Klingel mit ihrem schrillen Quäkton wurde wieder funktionstüchtig gemacht, aufgearbeitet wurden Fenster und Fenstergriffe, Türen und Einbauschränke in der Küche und sämtliche Leitungen. Die Küche war besonders aufwendig zu behandeln. Es sollte unbedingt der ursprüngliche Steinholzfußboden sein, ein Gemisch aus Sägespänen, Sägemehl, Zement und Magnesiumoxid sowie weiteren Füllstoffen. Das Paar fand einen bayerischen Ingenieur, der diese ökologische Technik beherrscht. Im von einem Schreiner aufbereiteten Küchenmobiliar befindet sich Technik von heute: Kühlschrank, Spülmaschine, Toaster. Der Stau- und Vorratsraum im Fensterkasten erinnert an alte Zeiten, noch mehr aber der anmutige Elektro-Backofen, der erworben werden konnte.

Auch das Bad musste grunderneuert werden. Fliesen der 60er- wurden durch übliche Ölsockel der 30er-Jahre ersetzt, Schimmelbildung musste beseitigt werden. Ben Buschfeld weiß, dass im Baujahr des Hauses in der Reichshauptstadt nur eine von zehn Wohnungen eine Toilette im Innenbereich hatte. „Ein eigenes Klo war Luxus“, sagt er.

Tautes Heim – Glück allein

Selbst das alte Gasag-Schild wollten die Besitzer an der Hinterfront so platziert haben wie früher. Sie fragten bei dem Energieversorger an, der aber hatte lediglich Plastikschildchen im Depot. Das vorhandene, jedoch gänzlich verrostete Blechschild wurde von einem Handwerker neu hergestellt. Es sind diese vielen kleinen Genauigkeiten, dieden denkmalschützerischen Wert des Objekts ausmachen.

Der Garten ist Katrin Lessers Beritt. Sie hat zwei Obstbaumreihen angelegt – Zieräpfel und Sauerkirschen. Dazu eine Wildrosenhecke und bunte Blumenbeete. Das hat Nachbarn angeregt, es ähnlich nachzumachen. Durch den Garten geht es ins Haus, die originalen Betonplatten wurden aufgearbeitet und neu befestigt. Nun ist alles wie zu Bruno Tauts Zeit. Die Dame des Hauses hat auch noch etwas Persönliches eingebracht: Sie häkelte den Spruch „Tautes Heim – Glück allein“, der unter Glas an der Wand hängt. Der Hausherr sagt, er habe gar nicht gewusst, dass seine Frau auch richtig gut häkeln kann.