Das Ende eines Traumes

| Lesedauer: 4 Minuten
Marisa Buovolo

Die RAF-Debatte ist in Deutschland gerade von brisanter Aktualität und nun, fast vier Jahre nach der Uraufführung, kommt auch in die deutschen Kinos der viel diskutierte Film "Buongiorno, notte - Der Fall Aldo Moro" von Marco Bellocchio.

Die RAF-Debatte ist in Deutschland gerade von brisanter Aktualität und nun, fast vier Jahre nach der Uraufführung, kommt auch in die deutschen Kinos der viel diskutierte Film "Buongiorno, notte - Der Fall Aldo Moro" von Marco Bellocchio.

Der Fall Moro bleibt eines der tragischsten Ereignisse in der jüngsten Geschichte Italiens. Das Bild des zusammengekauerten, leblosen Körpers des damaligen christdemokratischen Ministerpräsidenten, der 1978 nach 55 Tagen Gefangenschaft bei den Roten Brigaden im Kofferraum eines Autos gefunden wurde, konfrontiert stets die Nation mit einem nie überwundenen Trauma.

Um den gewaltsamen Tod der Schlüsselfigur im umstrittenen "historischen Kompromiss" zwischen PCI und Christdemokraten blieben viele Fragen ungeklärt. So ließ im Land des politischen Kinos die erste filmische Aufarbeitung des Geschehens nicht lange auf sich warten: 1985 realisierte ein Repräsentant des italienischen Politthrillers, Giuseppe Ferrara, mit "Die Affäre Aldo Moro" ein um die Aufdeckung der "Wahrheit" bemühtes Dokudrama. 18 Jahre später, zum 25sten Todesjahr Aldo Moros, kam in die italienischen Kinos ein Politthriller zum Thema, "Piazza delle cinque lune", in dem Regisseur Renzo Martinelli zum Fall Aldo Moro auf die Verbindungen zwischen internationalen Geheimdiensten, katholischer Kirche und Mafia im Italien der "bleiernen Zeiten" verweist.

Im gleichen Jahr wurde auf den Filmfestspielen von Venedig "Buongiorno, notte" vorgestellt, der die Kritik spaltete: viele fragten sich empört, wie Bellocchio als Altmeister politisch-radikaler Pamphlete einen Film über den Terrorismus realisieren und dabei auf politische Fragen total verzichten konnte. Er wolle eine der größten Tragödien Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer anderen Perspektive erzählen, erklärte er. Und in der Tat beruht sein Film auf den brisanten Bericht "Il Prigioniero/Der Gefangene" von Anna Maria Braghetti, der Terroristin, die an der Entführung und Gefangenschaft Aldo Moros beteiligt war. Die weibliche Hauptfigur Chiara (Maya Sansa) ist ihr nachempfunden. Chiara ist die einzige Frau in der Vierergruppe der männlichen Brigatisti und scheint die "weibliche" Rolle - fürs Kollektiv kochen - brav zu erfüllen. Dennoch ist es ihr weiblicher Blick, der im Zentrum der filmischen Erzählung steht. Sie beginnt den Gefangenen durch das Sichtfenster seiner Zelle zu beobachten, die in einer Privatwohnung eingerichtet wurde. Die junge Frau, die ein Doppelleben als Bibliothekarin und als Anhängerin der Roten Brigaden führt, ist von Zweifeln zerrissen. Sie beobachtet, wie sich der Präsident hilflos nachts in seinem Bett verkriecht, hört wie er bei den Verhörungen des "Volkstribunals" seine Würde stets behält. Allmählich sieht Chiara den Gefangenen mit "anderen" Augen und vor seiner Hinrichtung träumt sie von seiner Befreiung.

Was als Schwächen des Films betrachtet werden kann - schablonenhaft gezeichnete Terroristen, der Politiker, der als Märtyrer erscheint -, ist im Grunde seine Stärke, denn dies alles erweist sich schließlich als Oberfläche. Der Regisseur macht klar, dass es ihm um ein Psychogramm des Terrorismus aus der Perspektive seiner Protagonistin geht. Chiara ist mit den anderen in der anonymen Wohnung wie im Gefängnis eingesperrt. Allmählich brechen in der Gruppe Konflikte auf, immer beklemmender wird das Gefühl der Katastrophe.

Das Bild Aldo Moros - von Roberto Herlitzka herausragend verkörpert, - der in der Schlusssequenz lächelnd und frei durch Rom läuft, ist als Wunsch der Wiedergutmachung interpretiert worden. Bezeichnenderweise hatte 2003 Bernardo Bertolucci, mit "Die Träumer" auf das Jahr 1968 und auf die Utopie "der Fantasie an die Macht" zurückgeblickt. In "Buongiorno, notte" erzählt Bellocchio von dem Scheitern dieses Menschentraumes: Die Träumer sind gewalttätige Diener einer unmenschlichen Ideologie geworden. Für "das Ende des Traumes" hat der Regisseur eindringliche Bilder gefunden.

Buongiorno, notte - Der Fall Aldo Moro

Italien 2003

106 min. ohne Altersangaben

Regie/Buch: Marco Bellochio

Darsteller: Maya Sansa, Luigi Lo Cascio, Roberto Herlitzka

Bewertung 3/5