Warum steht der eine auf der Sonnenseite des Lebens und der andere im Schatten? Das muss so nicht sein, sagt die Expertin für Glück, Kerstin Taubenheim. Denn Glück hat man nicht, man lernt es
Viel Glück im Neuen Jahr! Das wünschen sich die Menschen zum Jahresbeginn. Doch was ist eigentlich Glück? Und kann man ihm womöglich nachhelfen? Darüber sprach Beatrix Fricke mit Kerstin Taubenheim. Die Diplom-Pädagogin und Glücks-Expertin leitet in Berlin die "Glücksschule".
Berliner Morgenpost:
Frau Taubenheim, wir haben Menschen nach ihren Glücksbringern gefragt. Haben Sie auch einen?
Kerstin Taubenheim:
Ich habe keinen Glücksbringer, aber wenn ich einen hätte, dann würde der mir gewiss Glück bringen.
Wie das?
Das liegt am Placebo-Effekt. Allein die Überzeugung, dass eine Pille gesund macht, kann heilen. So ist es auch beim Glücksbringer. Wenn ich davon überzeugt bin, dass er mich mutiger macht, dann macht er mich auch mutig - weil ich in Situationen, in denen ich Mut, Energie oder Glück brauche, an ihn denke und daran, dass er mich unterstützt. Die Überzeugung aktiviert die Selbstheilungskräfte.
Sie behaupten: Glück ist erlernbar.
Oh ja. Glück kann man genauso lernen wie eine Fremdsprache. Wenn wir Vokabeln lernen, dauert es eine Zeit lang, bis sie sitzen. Aber irgendwann benutzen wir die Wörter automatisch. Genauso verhält es sich mit glückbringenden Verhaltensweisen. Das lässt sich neurologisch begründen. Beim Lernen wächst eine Gehirnzelle - so lange, bis sie auf eine andere Nervenzelle stößt. Dann verbinden sich die beiden über eine Synapse. Je öfter ich die Verbindung befahre, also je öfter ich an das Wort denke oder es benutze, um so breiter wird der Pfad und umso leichter fällt es mir, dieses Wort zu benutzen. Ist aus dem Pfad eine breite Straße geworden, benutze ich es automatisch.
Was hat das mit dem Glück zu tun?
Auch viele unserer Denk- und Verhaltensweisen erfolgen automatisch. Wenn unsere Eltern zum Beispiel häufig gesagt haben: "Du bist aber ungeschickt!" oder "Das schaffst du nie!", dann glauben wir das irgendwann, es wird zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Doch wir können die synaptischen Verbindungen verändern und sogar ins Gegenteil verkehren.
Wie denn?
Zum Beispiel mit positiven Affirmationen. Wer sich hundertmal am Tag sagt "Ich schaffe das!", der verdrängt das "Das schaffst du nie!" und bekommt im Lauf der Zeit mehr Selbstvertrauen. Dieses wiederum verhilft zu Erfolg und Glücksgefühlen. Wer unter Stress leidet, kann sich sagen: "Ich habe alle Zeit, die ich brauche, und ich nutze sie effektiv." Wem es an Vertrauen mangelt, sagt sich: "Ich vertraue auf die Menschen und weiß, dass sie mir wohlgesonnen sind." Je konkreter und komplexer die positiven Affirmationen sind, desto effektiver sind sie auch. Denn dann sagt man sie nicht nur so vor sich hin, sondern denkt auch darüber nach.
Das Rezept klingt sehr einfach...
Theoretisch ist es das auch. Aber Glück ist Arbeit und Übung. Es erfordert Mühe, negative Gedanken und Grübeleien zu stoppen und optimistisch in die Welt zu schauen, denn der Mensch ist in seinen Gewohnheiten sehr festgefahren. Daher kommen viele auch erst zu mir, wenn sie kreuzunglücklich sind und teilweise körperlich leiden. Doch für Veränderungen ist es nie zu spät.
Ist Glück gesund?
Ja, Glück ist gesund. Wer glücklich ist, bei dem steigt die Atemqualität. Das Herz- Kreislauf-System profitiert, das Immunsystem verbessert sich, die Hirnstruktur ist gesünder. Das bedingt wiederum, dass die Menschen vermehrt positive Ereignisse wahrnehmen, über eine höhere Problemlösungskompetenz verfügen und kreativer sind - was wiederum das Glück befördert.
Gibt es Aktivitäten oder Lebensverhältnisse, die jeden glücklich machen, oder bedeutet Glück für jeden etwas anderes?
Glück wird wissenschaftlich definiert als Wohlbefinden, Lebensfreude, Lebensqualität. Aber die Umstände, die jeder braucht, um das zu empfinden, sind natürlich unterschiedlich. Glück ist also immer subjektiv und im Grunde ist jeder Mensch der Experte für sein eigenes Glück. Ich schlage vor: Machen Sie eine Liste mit den Dingen, die Sie glücklich machen. Und dann tun Sie es! Regelmäßig! Je mehr Sie bewusst Glück erleben, umso mehr Glück werden Sie haben. Das kleine Glück wird Sie vorbereiten auf große Glücksgefühle.
Stimmt es eigentlich, dass die Deutschen unglücklicher sind als andere Völker?
Laut Rankings sind die Schweizer und die Skandinavier glücklicher als die Deutschen. Sie profitieren von Wohlstand, dem Gefühl politischen Einflusses, einer guten Absicherung. Doch auch viele weniger gut situierte Südländer fühlen sich glücklicher als mancher Deutscher. Sie sind offener und familienbetonter. Das soziale Umfeld und Wohlstand sind also nicht zwangsläufig bestimmend für die Zufriedenheit.
Was schlägt denn den Deutschen auf die Stimmung?
Der Glücksökonom Bruno Fry behauptet, die Menschen hierzulande müssten so glücklich sein wie nie zuvor. Ökonomisch gesehen könnte er damit Recht haben. Aber so gut geht es den Deutschen wohl doch nicht: Die Zahl der an Depressionen und Angsterkrankung leidenden Menschen ist so hoch wie nie zuvor und steigt jährlich. Ich denke, dass die heutige Zeit für viele schwierig ist: Auf dem Arbeitsmarkt herrscht Druck, Familien werden auseinandergerissen, für die Kinder bleibt wenig Zeit, die Großeltern sind häufig weit weg und können den Nachwuchs nicht unterstützen. Und dann die Bürokratie! Doch ist man den Umständen ja nicht ausgeliefert. Es gibt eine Faustregel: 50 Prozent unseres Glücksempfindens ist in den Genen angelegt, zehn Prozent bestimmen die Umstände. Immerhin 40 Prozent kann man selbst beeinflussen.
Hilft es, sich Inseln des Glücks zu schaffen, wenn man sich im Grunde unglücklich fühlt?
Je nachdem, wie groß der Unglücksfaktor ist, kann man ihn nicht überdecken. Wer zum Beispiel acht Stunden lang täglich, Woche für Woche, an einer Arbeitsstelle ist, die er furchtbar findet, wird dies kaum mit zwei Stunden Kino ausgleichen können. Ähnlich ist es mit Konsum: Frustkäufe helfen nur kurzfristig gegen das Elendsgefühl. In meinem Beispiel bedeutet das: Dauerhafte Veränderung ist nur möglich, indem man entweder seine Einstellung zum Job verändert - was viel Willenskraft erfordert. Oder indem man sich eine neue Arbeit sucht.
Meist sind Glücksmomente flüchtig. Warum?
Rein biologisch können die Hormone, die Glücksgefühle auslösen, nicht immer bereitgestellt werden. Sie müssen sich erst aufbauen. Zu den Glückshormonen gehören Serotonin, Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin, Oxytocin und die Endorphine. Dopamin etwa wird bei Bewegung ausgeschüttet, Oxytocin bei Berührungen wie Streicheln oder Massagen.
Kann man Glück eigentlich erst wirklich empfinden und genießen, wenn man neben den zufrieden stellenden Stunden auch weniger schöne erlebt?
Dazu muss man unterscheiden. Es gibt drei Arten von Glück: das Zufallsglück, das uns schicksalhaft zufällt. Das Wohlfühlglück, das uns Berührung, Genuss, Erfolg, Freunde oder Bewegung verschaffen. Und es gibt das große Glück, das Glück der Fülle. Zu diesem allumfassenden Glücksgefühl gehört das Leid. Nur wenn wir Höhen und Tiefen erleben, haben wir das Gefühl, alle Emotionen empfunden und das Leben richtig erlebt zu haben. Um dieses Glück erleben zu können, muss Leid angenommen und akzeptiert werden, auch wenn uns das meist nur im Nachhinein gelingt. Leid kann auch eine Art Kontrasterfahrung sein. Es kann uns veranlassen zu überdenken, ob dieser Weg der richtige ist. Es zwingt uns manchmal zu einer Veränderung - die uns dann umso glücklicher macht.
Kinder erscheinen oft so glücklich und unbeschwert. Stimmt es, dass Kinder am glücklichsten sind? Was können wir von ihnen lernen?
Kinder sind von Natur aus offen, vertrauensvoll, wissbegierig, aktiv. Sie fallen hunderte Male hin, stehen aber wieder auf, denn sie wollen laufen lernen. Sie denken nicht an morgen. Da haben sie vielen erwachsenen Menschen eine Menge voraus, was glückbringende Verhaltensweisen betrifft. Außerdem entwickeln sich Kinder, und Entwicklung bedeutet Glück. Es ist aber auch wichtig, Kindern beizubringen, wie man sich eine solche glückbringende Einstellung erhält.
Wie macht man das?
Das Beste, was man tun kann, ist, für sich selbst Glück zu lernen, denn Kinder schauen sich die Verhaltensweisen der Eltern ab. Kinder brauchen gelassene Eltern, die für eine Atmosphäre der Wärme, der Begeisterung und der Liebe sorgen. Und das geht nur, wenn die Eltern nicht gestresst sind. Ganz wichtig ist auch: Berühren Sie Ihr Kind! Jede Berührung, jedes Kuscheln hilft der Emotionskontrolle und macht das Kind weniger ängstlich. Wenn es weint oder frustriert ist, können Sie Albernheiten initiieren. So werden die traurigen Phasen mit lachenden Phasen ausgeglichen, die Bilanz der positiven zu den negativen Gedanken gestärkt.
Haben Sie noch einen Tipp, wie man 2013 zum ganz speziellen Glücksjahr machen kann?
2013 wird zu einem ganz persönlichen Glücksjahr, wenn Sie das Negative in Ihrem Leben endlich ändern - oder es akzeptieren. Stellen Sie das Grübeln ein und denken Sie positiv. Unternehmen Sie Dinge, die Sie glücklich machen. Achten Sie auf die positiven Ereignisse in Ihrem Leben und feiern Sie jeden noch so kleinen Erfolg. Dann wird sich Ihr Glück mehren. Ach ja: Und vergessen Sie Ihren Glücksbringer nicht, wenn Sie Unterstützung, Mut und Kraft brauchen.