Bundesfreiwilligendienst

Momente des Glücks, Momente der Nähe

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Gabriele Eisenrieder

Vilanda weiß noch nicht so recht, was sie davon halten soll, dass sie von Schoß zu Schoß gereicht wird, alle fünf Minuten von einer zittrigen Hand zur nächsten. Doch sie bleibt ruhig, bellt nicht. Für die Menschen um sie herum ist sie ein kurzer Moment des Glücks. Vilanda trägt ein rotes Leibchen vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), Vilanda ist ein Riesenschnauzerwelpe.

Gabriele Petersen streichelt das Hundebaby kurz. Auch sie selbst trägt ein rotweißes DRK-Halstuch. Die 71-Jährige ist die erste Bundesfreiwilligendienstlerin Deutschlands.

Gabriele Petersen steht mit Vilanda im Garten der Villa Albrecht, einem Seniorenwohnprojekt in Tempelhof. Sie reicht den Welpen den alten Menschen, die in Decken gewickelt im Stuhlkreis um sie herum sitzen. "Sehen Sie, er mag Sie - Tieren kann man nichts vormachen", sagt Gabriele Petersen zu Frau Zimny und lächelt aufmunternd. Frau Zimny tätschelt Vilanda vorsichtig mit den Fingerspitzen. Als der Hund sich an ihre blassgelbe Strickjacke schmiegt, lächelt auch sie zufrieden. Frau Zimny sagt, sie sei nur zu Besuch in der Villa Albrecht. Tatsächlich dauert der Besuch jetzt schon anderthalb Jahre. Sie ist eine der Bewohner der Demenz-Wohngemeinschaft. Dort leben 16 Demenzkranke mit Betreuern, außerdem gibt es noch Senioren-Wohnungen und eine Tagespflege-Abteilung in der Einrichtung.

Schon früher ehrenamtlich engagiert

"Bufdi" nennt sich das in der Abkürzung, was Gabriele Petersen seit dem 1. Juli dieses Jahres hier ist, und "tiergestützte Therapie", was sie da tut. Gabriele Petersen unterstützt die Pflegekräfte der Villa Albrecht bei dieser Therapie. In Zukunft soll sie außerdem am Empfang eingesetzt werden und dort für die kleinen und großen Nöte der Bewohner ein Ohr haben.

Die Berlinerin ist seit 2003 im Ruhestand, wobei dieser Zustand bei ihr mit Ruhe nicht viel zu tun hat. "Mir war immer klar, dass ich nach dem Arbeitsleben weiter mit Menschen zu tun haben will", sagt Gabriele Petersen, "schließlich habe ich keine Enkel zu versorgen und bin auch anderweitig nicht gebunden." Die ehemalige Sekretärin aus Halensee arbeitete von 2004 an zwei Mal wöchentlich auf freiwilliger Basis im Berliner Landesverband des DRK. Als man sie dort fragte, ob sie sich im Rahmen des neuen Bundesfreiwilligendienstes noch regelmäßiger engagieren wolle, musste sie nicht lange überlegen. "Vergangenen Sommer habe ich mir das Knie gebrochen, konnte monatelang nicht aus dem Haus, da habe ich so viel Hilfe bekommen - ich wollte einfach etwas zurückgeben", sagt sie. Gabriele Petersen wirkt fit, sie sieht gut zehn Jahre jünger aus als sie ist, wenn sie lächelt, wirkt sie manchmal sogar 30 Jahre jünger.

Im Mai war sie die Erste, die bei einem Festakt mit Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ihren Vertrag zum Bundesfreiwilligendienst unterschrieb. Sie erzählt das mit bescheidenem Stolz. Ihrem Beispiel sollen nach den Plänen des Bundesfamilienministeriums bis 2012 insgesamt 35 000 Menschen folgen. Bislang haben sich allerdings erst rund 3000 Menschen dazu entschlossen, "Bufdi" zu werden. Das Ministerium gibt sich trotzdem optimistisch, die deutschlandweit 90 000 Zivildienststellen, die durch das Ende der Wehrpflicht wegfallen, nach und nach zu ersetzen. Die Entscheidung fiel erst im Dezember 2010, noch ist der Freiwilligendienst kaum bekannt. Außerdem sind bis heute viele Dinge unklar, bereits mehrmals wurde die Vertragsvorlage geändert.

Das überfordert viele Berliner Einrichtungen, bei den meisten starten die wenigen Freiwilligen, die es gibt, erst ab August oder September. Das DRK hatte sich schon seit Jahren dafür eingesetzt, freiwilliges Engagement in einheitlicher Form zu regeln, wie Rüdiger Kunz, der Sprecher des DRK-Landesverbandes Berlin, sagt. "Wir freuen uns, dass mit dem neuen Dienst ausdrücklich auch ältere Menschen als mit dem Zivildienst angesprochen werden. Das ermöglicht mehr einen Kontakt auf Augenhöhe zwischen unseren Bewohnern und den Freiwilligen."

Gabriele Petersen sucht diesen Kontakt auf Augenhöhe mit ihren Schützlingen. Sie hat sich zu Frau Zimny auf die Bank gesetzt. Um die beiden Frauen blühen die Sträucher, einige Bewohner haben Schalen auf ihre Rollatoren gestellt und sammeln darin Beeren für den Nachtisch. "Ich bin 1932 geboren", erzählt Frau Zimny. An die meisten Sachen von früher, Jahreszahlen, Ereignisse, kann sie sich gut erinnern. "Ach", sagt Gabriele Petersen, "und ich 1940, ein Kriegskind." Gabriele Petersen ist nur acht Jahre jünger, doch zwischen ihr und Frau Zimny, die klein und zusammengesunken neben ihr sitzt und gedankenverloren ihre Hand streichelt, liegen Welten. Heute. Doch die Vergangenheit verbindet. "Da haben Sie ja auch die schlechte Zeit miterlebt", sagt Gabriele Petersen. "Ja, ja", sagt Frau Zimny und wiegt den Kopf. Aufmerksam hört sie zu, wie Gabriele Petersen von ihrer Flucht aus dem heutigen Polen erzählt, wie sie und ihre zwei Geschwister im neuen Zuhause bei Hannover als "Zigeunerkinder" beschimpft wurden. Solche Erinnerungen sind auch in den Köpfen der Bewohner der Villa Albrecht präsent. Und auf dem Wandgemälde in der Demenz-WG von Frau Zimny. Es ist eine gemalte Collage der Geschichte Deutschlands: Mauerbau, Adenauer, die ersten Nylonstrümpfe - große und kleine Ereignisse - den Bewohnern sollen sie helfen, auch die eigene Biografie nicht zu vergessen.

Gespräche gegen das Vergessen

Dafür helfen auch Gespräche. Gabriele Petersen erzählt, wie sie Arzthelferin lernte, weil das erträumte Medizinstudium nicht zu finanzieren war. "Für mich war immer schon klar, dass ich etwas Sinnvolles tun will, etwas, das anderen Menschen hilft", sagt sie. Kinder hat sie nie bekommen, zwei ihrer Partner starben überraschend. "Das Gefühl gebraucht zu werden lässt mich gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen, welche Wehwehchen ich habe könnte." Der "Bufdi" soll auch sie selbst aktiv halten.

Voraussichtlich wird sie halbtags in der Villa Albrecht arbeiten, das ist für "Bufdis", die älter als 27 Jahre sind, möglich. Dafür bekommt sie ein kleines Taschengeld, am besten am neuen Dienst gefällt ihr aber, dass sie ihre Einsätze flexibel mit der Einrichtung absprechen kann. Gabriele Petersen hofft, dass sie mit ihrem Beispiel weitere Ruheständler animieren kann, sich zu engagieren.

Dass ihr Dienst nicht nur positive Seiten haben wird, darauf sei sie vorbereitet. Auch darauf, den einen oder anderen Bewohner sterben zu sehen. "Das ist alles Teil des Lebens", sagt sie. Am Ende ihres ersten Tages sitzt Gabriele Petersen mit zwanzig Bewohnern bei der Chorprobe und singt "Hoch auf dem gelben Wagen". Alle strahlen sie an. "Ich wär ja so gern noch geblieben, aber der Wagen, der rollt", darum geht es im Lied und darum geht es auch in ihrem Leben: Immer wieder Neues anfangen. Das macht glücklich, auch die anderen.