Nach einer Trennung braucht man durchschnittlich 19 Monate, um darüber hinwegzukommen. Aber der Schmerz, den eine Trennung auslöst, fühlt sich am Anfang meist endlos an. Die Person, die man geliebt hat, ist weg, und man ist allein.
Egal, welche Ratschläge Freunde geben, das Ziehen im Magen sitzt man allein aus. Oder man fragt - wie Morgenpost-Autorin Judith Innerhofer - den Psychologen Markus Ernst, der als Single-Coach bei der Online-Partneragentur Parship arbeitet.
Berliner Morgenpost: Was ist das für ein Schmerz, der bei einer Trennung entsteht?
Markus Ernst: Es gibt eine Skala der schlimmsten Lebenseinschnitte, die einem Menschen widerfahren können. Da kommt die Trennung gleich nach dem Tod. Das erklärt einiges.
Berliner Morgenpost: Jeder Zweite denkt in der ersten Phase der Trennung auch an Selbstmord. Wie oft erleben Sie, dass die Leute sagen: "Ich kann und will nicht mehr"?
Markus Ernst: Selten. Dabei gibt es vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede. Männer neigen eher zu solchen Aussagen. Einfach aus einer anfänglichen Unsicherheit heraus, mit Emotionen umzugehen. Außerdem haben sie ein weniger dichtes soziales Netz als Frauen. Männer haben weniger Möglichkeiten sich auszutauschen.
Berliner Morgenpost: Heißt das: Männer leiden stärker, wenn die Beziehung scheitert?
Markus Ernst: In meiner Arbeit erfahre ich täglich, dass Männer und Frauen einfach sehr unterschiedlich sind. Frauen merken wesentlich früher, wenn in einer Beziehung etwas schief läuft. Männer versuchen es eher zu verdrängen und wie ein Straußenvogel den Kopf in den Sand zu stecken. Wenn es dann zur Trennung kommt, sind Männer oft total perplex. Sie schildern gerne mal, dass alles bestens und die Frau plötzlich weg war. Frauen setzen sich früher damit auseinander und verarbeiten es dadurch auch besser.
Berliner Morgenpost: Männer verdrängen und Frauen versuchen zu kommunizieren?
Markus Ernst: Ja. Frauen gehen reflektierter durch die Welt als Männer.
Berliner Morgenpost: Trennen sich Frauen häufiger?
Markus Ernst: Frauen ziehen eher den Schlussstrich. Männer zögern die Reflexion solange hinaus, bis die Frau kommt und sagt: "Es geht nicht mehr." Dann wachen Männer erst auf.
Berliner Morgenpost: Es sind aber nicht alle Männer so.
Markus Ernst: Auf jeden Fall ist das eine Altersfrage. Ein 50-Jähriger tut sich schwerer, über Gefühle zu reden. Nach dem Motto: "Ein echter Mann weint nicht." Die heutige Generation lernt eher, dass sie auch mal schwach und weich sein dürfen. Aber eine emotionale Öffnung bedeutet für Männer Angreifbarkeit.
Berliner Morgenpost: Was hilft gegen den Schmerz?
Markus Ernst: Ich glaube, man muss sich erst einmal klar werden, dass der Schmerz nach einer Trennung normal ist.
Berliner Morgenpost: Wenn ich Kopfschmerzen habe, dann ist das auch normal. Trotzdem will ich, dass die Schmerzen sofort aufhören.
Markus Ernst: Bei Liebeskummer gibt es einfach keine Möglichkeit, den Schmerz sofort zu beseitigen. Ich glaube, da muss jeder durch: sich klar zu werden, was schiefgelaufen ist, und nicht die gescheiterte Beziehung zu idealisieren.
Berliner Morgenpost: Bei alten Menschen geht es oft so weit, dass, wenn einer stirbt, der Partner ihm dann schnell folgt.
Markus Ernst: Ich glaube, das sind Extremfälle. Außerdem ist man dann auch vom Alter her im Herbst des Lebens und hat den Tod schon mehr im Auge als junge Menschen. Dann kann so etwas solche Ausmaße erreichen.
Berliner Morgenpost: Sie arbeiten bei einer Online-Agentur. Verspüren auch Leute, die sich nur über einen digitalen Austausch kennen und scheitern, Trennungsschmerz?
Markus Ernst: Es ist überraschend, wie nahe sich Leute nur über E-Mail-Kontakt oder Telefonate kommen. Deshalb raten wir unseren Mitgliedern, sich so schnell wie möglich in der realen Welt zu treffen, wenn sie ein größeres Interesse verspüren.
Berliner Morgenpost: Bei sozialen Netzwerken wie Facebook kann man einfach seinen Beziehungsstatus auf Single setzen und damit den anderen öffentlich signalisieren: "Ich bin wieder zu haben."
Markus Ernst: Ich sehe das kritisch. Vor allem die vermeintlichen Freunde, die man da sammelt. Enge Freunde sollten das doch persönlich erfahren. Und da frage ich mich, geht das die restlichen "200 Freunde" überhaupt etwas an?
Berliner Morgenpost: Dadurch werden Beileidsbekundungen gepostet - also eine Art von Trost. Im realen Leben hingegen hält sich das weitere Umfeld oft zurück und fragt nicht nach, wie man mit der Trennung vom Partner klarkommt.
Markus Ernst: Wenn einem das wichtig ist, dass man von Menschen, die man nicht so gut kennt, Feedback kriegt und dadurch Linderung erfährt, warum nicht?
Berliner Morgenpost: Acht Prozent der frisch Getrennten zweifeln, dass sie ihre Trauer jemals überwinden. Kann es nicht sein, dass einem jemand so sehr fehlt, dass man tatsächlich daran zerbricht?
Markus Ernst: Ja, das gibt es auch. Aber ich glaube, das sind Menschen, die unabhängig von der Trennung psychisch labil sind. Die Trennung ist dann nur noch ein Auslöser.
Berliner Morgenpost: Angeblich dauert es durchschnittlich 19 Monate, eine Trennung zu überwinden. Ist das wirklich so?
Markus Ernst: Ja, das ist der durchschnittliche Wert unserer aktuellen Parship-Umfrage. Die Zeit ist nur ein Faktor. Man muss sich aber auch mit dem Geschehenen auseinandersetzen: Beziehungsmuster erkennen, oftmals scheitert es ja immer wieder an den gleichen Dingen. Man muss sich weiterentwickeln. Es ist zwar kein Spaß und tut weh, bietet aber auch eine Chance zur Erneuerung.
Berliner Morgenpost: Der Moment, indem man begreift, warum eine Beziehung gescheitert ist, hilft also?
Markus Ernst: Das lindert den Schmerz. Vielleicht kann ich in einer neuen Beziehung mehr kriegen, als ich in der letzten hatte. Der Blick in die Zukunft ist wichtig.
Berliner Morgenpost: In dem Film "Eternal Sunshine of the Spotless Mind" werden schmerzliche Erinnerungen an einen Menschen einfach aus dem Gehirn gelöscht. Wäre das nicht eine Möglichkeit?
Markus Ernst: Eine Maschine, die Erinnerungen löschen kann, wäre eine Katastrophe. Da habe ich keine Chance mehr, eine gereifte Persönlichkeit zu werden. Dann fange ich immer wieder bei Null an. Ich lerne Dinge nicht zu schätzen und weiß nicht, wo ich aufpassen muss. Eine furchtbare Vorstellung.