Kosmetik

Mit Lipgloss auf den Spielplatz

| Lesedauer: 8 Minuten
Nicole Oppermann

Annie glitzert. Und duftet. Nach Prinzessin Lillifee. Einem Parfum für Kinder. Das mag sie: "Riecht lecker." Die Fünfjährige schaut in den Spiegel. Ihr gefällt, was sie sieht: Ihre Haare sind perfekt geflochten, die Lippen glitzern mit Himbeer-Lipgloss.

Sie lächelt, stemmt die Händchen in die Hüften, posiert vor dem Spiegel. Professionell, fast wie ein Model.

Annie ist nicht die einzige Fünfjährige in Deutschland, die für Lipgloss und Parfum schwärmt. Die Konsumenten für kosmetische Artikel werden immer jünger. Bereits acht Prozent der Acht- bis Zehnjährigen schminken und stylen sich aufwendig, bevor sie morgens zur Grundschule aufbrechen. Bei den Siebt- und Achtklässlern sind es schon fast 60 Prozent. Das belegt eine Studie des Marktforschungsinstituts Synovate. Es wird geschmiert, gesprüht, geschäumt. Duschgel, Deo, Shampoo und Hautcreme stehen bei Kindern längst im eigenen Schrank und werden nicht mehr bei Mama oder Papa gemopst. Auch in Berlin boomt das Beauty-Geschäft mit Kindern. Vor allem Friseure haben das passende Konzept für ihre jüngsten Kunden: Der Motorradstuhl, auf dem Annie sitzt, gehört zum nobel verspielten Inventar vom Tröndle-Kindersalon im KaDeWe.

Der Laden läuft, es wird geschnippelt, geföhnt, gewachst, gestylt. Sogar gefärbt. Vorbei die Zeiten, als Tränen flossen, wenn der Friseur loslegt. Hier wird nicht geheult, hier wird manchmal sogar am Ebenbild von Hollywood-Stars gebastelt. Kinder, die hier auf Donald Duck, Sportauto oder Motorrad sitzen, wollen nur eins: cool aussehen.

Das Ziel: Haare wie Brad Pitt

Oder schön sein. So wie Mama. Oder Brad Pitt. "Der hat schöne Haare" meint der sechsjährige Joel. Und lässt sich dabei geduldig bearbeiten. Seine samtweichen Kinderhaare werden mit jeder Menge Gel in eine ähnliche Form gebracht, wie die seines großen Idols. Joel ist glücklich. Seine Mutter auch. Und stolz. Sie streicht ihrem Sohn zärtlich über die Haare. Der wehrt sich ein bisschen. Dreht sich weg von seiner Mutter. "Maaaan" mault er rum. Schließlich soll seine neue Frisur nicht gleich zerstört werden. "Joel will hierher wegen der netten Mädels. Am liebsten mag er, wenn Angelika ihm die Haare schneidet. Und wegen der lustigen Stühle", sagt seine Mutter und lacht fröhlich. Man sieht der 37-Jährigen an, dass sie viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt. Sie ist selbst ebenso perfekt gestylt wie ihr Sohn. "Mama, kann ich noch eine Tube von dem Haargel haben?", fragt Joel. Er darf, natürlich. Mama zahlt, dann schweben beide davon. "Tschüs Angelika", ruft Joel noch. Auch Annie hat Wünsche: "Ein paar Strähnchen fände ich schön. Und noch mehr Lipgloss", sagt sie mit ihrer Kinderstimme. Bei Tröndle gibt es alles, was Nachwuchs-Beauties wollen. Das Konzept geht auf. Rund 100 Kinder kommen samstags zum Haareschneiden ins KaDeWe. Unter der Woche sind es etwas weniger. Zehn Cent pro Zentimeter Körpergröße zahlen die Eltern, bei Kindern ab sieben Jahre sind es 16 Euro für einen Trockenhaarschnitt. "Vom drei Monate alten Baby bis hin zu 12-Jährigen kommt hier alles auf den Stuhl", sagt Salonchefin Janine Hiller. "Wir haben 80 Prozent Stammkunden."

Auch Annie kommt regelmäßig. "Sie lässt für ein Glitzerlipgloss jede Kinderschokolade liegen", sagt ihre Mutter Kitty List. "Ich finde das nicht schlimm. Wenn sie Spaß daran hat, ist doch alles okay. Wieso sollte ich ihr das verbieten?", fragt die 38-Jährige.

Kinderpsychologen halten den Trend für bedenklich. "Kinder, die sich täglich mit dem Thema Schönheit auseinandersetzen, können kaum Selbstwertgefühl entwickeln", sagt die Berliner Kinder- und Jugendpsychologin Gesine Schwietering. "Sie denken, dass sie ohne diese Produkte nicht mehr hübsch sind. Es entsteht eine Abhängigkeit." Zudem ginge die Chance, ein Kind zu sein, verloren. "Spielen, Lernen, Hobbys rücken in den Hintergrund. Es besteht die Gefahr, dass Kinder sich unter Druck setzen: Ohne Schminke bin ich nicht hübsch. Und dann hat mich keiner lieb. Sie geraten in einen Teufelskreis", erklärt Gesine Schwietering.

Doch das Beauty-Angebot für Kinder wird immer größer: Auch in Berliner Nagelstudios können sich Kinder bereits ab fünf Jahren feilen und stylen lassen. Etwa bei "Hand & Nails C. Runge" in Prenzlauer Berg. Hier gibt es lustigen Glitterlack, eine Handmassage und Aromamaske schon für die Kleinsten. "Kinder stehen total auf unsere Glitzer- und Fruchtlinie. Während Mami sich verschönern lässt, können die Kleinen so auch entspannen", sagt Inhaberin Carola Runge.

Doch Hautärzte warnen: "Zuviel Kosmetik schadet Kindern. Das Risiko einer Allergie ist sehr hoch", sagt Anja Klein vom Haut- und Lasercentrum Potsdam. "Junge Haut braucht in der Regel gar keine Creme. Abgesehen natürlich von einem hohen Sonnenschutz. Alles andere ist reines Überpflegen", so die Dermatologin. Die Folgen: Pöckchen, Juckreiz bis hin zu Ekzemen. Und: Deos oder Parfum brauchen Kinder gar nicht: "Denn sie haben noch gar keine Schweißdrüsen. Die entwickeln sich erst mit der Hormonproduktion." Zudem seien in den speziell für Kinder angebotenen Fruchtduschgels, Shampoos oder Körperlotionen oft Aromastoffe, die Kinderhaut noch gar nicht verarbeiten könne. Doch gerade diese Produkte sind sehr beliebt. "Der Markt konzentriert sich vor allem auf Sonnencreme, Shampoo und Badeschaum", sagt Günther Conrad vom Kosmetikhersteller Emil Kiessling. Shampoos und Badeschaum sollen den Spaßfaktor beim Waschen erhöhen, färben darum das Wasser bunt. Und es prickelt wie Brausepulver oder duftet wie Gummibärchen. Gerade bei den Namen setzen die Hersteller auf einen hohen Niedlichkeitsfaktor: "Waschschaum Delphini", "Prinzessin Rosalea Shampoo" oder "Kinderseife Himbeerhäuptling". Die Parfümeriekette Douglas hat sogar eine Eigenmarke für die Jüngsten geschaffen, benannt nach den Kinderlieblingen "Lars, der kleine Eisbär" und "Lauras Stern".

Schon Kinder wollen Schönheits-OPs

Annie sind die Tricks der Werbebranche egal. Hauptsache, sie sieht gut aus. So wie die hübschen Mädchen bei Heidi Klum im Fernsehen. "Annie und ihre Schwester spielen immer ,Germany's Next Topmodel'", erzählt Kitty List. "Sie stolzieren im Flur auf und ab und sagen: Du kriegst heute kein Foto. Erst wusste ich gar nicht, was sie damit meinten. Sie haben mich dann aufgeklärt." Bedenken hat sie keine, "sie finden das doch nur lustig".

Die Tempelhofer Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert (SPD) dagegen sieht in den Medien eine Gefahrenquelle für Kinder und Jugendliche: "Zweifellos haben die Medien einen starken Einfluss auf das gängige Schönheitsideal", sagt sie. "Kinder verkleiden sich gern, spielen Prinz und Prinzessin. Das gehört zum Aufwachsen dazu", so Rawert. Wenn sich allerdings bereits 20 Prozent der neun bis 14-Jährigen eine Schönheitsoperation wünschten, sei das sehr bedenklich. Auch wenn diese Zahlen aus einer bundesweiten Umfrage stammten, sei Berlin hier sicherlich keine Ausnahme, vermutet Rawert und erklärt: "Kinder sind der Markt der Zukunft. Wir müssen erkennen, dass hinter dem Erzeugen nach Modell-Schönheit ein Riesengeschäft und massive wirtschaftliche Interessen stecken." Die SPD-Politikerin setzt sich schon lange für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema "Schönheitswahn bei Kindern" ein. Sie sieht akuten Handlungsbedarf. Vor allem in den Bereichen Erziehung und Bildung: "Kitas, Schulen und Bildungseinrichtungen sollten dabei helfen, dass Kinder fühlen und erfahren: Ich bin richtig so, wie ich bin."

Annie klettert vom Motorrad auf Donald Duck, dann will sie noch das Sportauto testen. Das hat auch Kaya (4) entdeckt. Gerade setzt die schon zum Klettern an. "Kann ich mitmachen?" fragt Annie. Kaya nickt schüchtern, dann versucht sie, Annie hochzuheben. Beide kichern. Kaya stopft Annie ein paar Fruchtgummis in den Mund. Die hat Tröndle immer parat. Annies Lipgloss verschmiert. Aber daran denkt sie nicht, jetzt will sie spielen.

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