Große Pädagogen, Teil 4

Helene Lange: Eine Kämpferin für die Gleichberechtigung

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Kirsten Schiekiera

Naturkunde für Mädchen, Frauen in den Lehrberuf: Was die Feministin erstritt, ist heute selbstverständlich

Ihr Empfinden für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten setzte schon in der Kindheit ein. Das Mädchen, das eine ausgemachte Abneigung gegen sämtliche Handarbeiten hatte, sollte damals stricken lernen. Dass sie einer verhassten Tätigkeit Zeit opfern sollte, ärgerte sie weniger als die Tatsache, dass ihre beiden Brüder von sämtlichen Haus- und Handarbeiten verschont blieben. In ihren Lebenserinnerungen schrieb sie "vom Pech, ein Mädchen zu sein" und von dem "geistigen Ödland", das sie an ihrer Mädchenschule umgeben habe. "Es gehört zu den allgemein geglaubten Theorien, dass man kleine Mädchen nicht früh genug an die Handarbeit herankriegen könne", heißt es in der Autobiographie, die 1921 erschien. Damals hatte sie schon Jahrzehnte für eine Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen gekämpft.

Helene Lange (1848-1930) wuchs zunächst behütet in einer Kaufmannsfamilie in Oldenburg auf. Ihre Mutter starb, als sie sieben war, im Alter von 16 Jahren wurde sie nach dem Tod ihres Vaters Vollwaise. Sie bekam einen Vormund, der sie zu einem protestantischen Pfarramt nach Württemberg schickte. Dort sollte Helene Lange eine so genannte "Pensionszeit" verleben, bei der es sich um nichts anderes als um eine Wartezeit bis zur Hochzeit handelte. Eheleben und Mutterschaft - eine andere Perspektive war damals nicht für Mädchen vorgesehen.

In dem Pfarrhaus verkehrten Akademiker und Theologen, es wurde diskutiert und philosophiert. Helene Lange, die aus weniger intellektuellen Verhältnissen stammte, war angetan von der anregenden Atmosphäre in dem Haus, allerdings musste sie die Erfahrung machen, dass ihre Gesprächsbeiträge in der Runde nicht willkommen waren. "Wenn kluge Männer sprechen, haben Mädchen zu schweigen", wurde ihr gesagt. In dieser Zeit wurde ihr klar, dass Bildung der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben ist und sie beschloss Lehrerin zu werden. Doch ihre Pläne konnte sie zunächst nicht in die Tat umsetzen, da ihr Vormund die Ausbildung verbot. Das habe noch nie jemand im Oldenburger Land getan, wurde ihr gesagt. Sie ließ nicht locker und setzte durch, dass sie einige Jahre in einem französischen Mädchenpensionat Deutschunterricht erteilen durfte.

Die Volljährigkeit mit 23 und die damit einsetzende Unabhängigkeit von ihrem Vormund muss sie als Befreiung empfunden haben. Sie zog nach Berlin, das damals das Zentrum der sich formierenden Frauenbewegung war, zu deren Mitgliedern sie schnell Kontakt fand. Ein Jahr später legte sie ihr Examen ab und fand eine Anstellung an der Crainschen Höheren Mädchenschule, an der sie das Lehrerinnenseminar leitete. In dieser Zeit begann sie die preußischen Bildungsrichtlinien, nach denen eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung und das Abitur nach wie vor Jungen vorbehalten waren, in Artikeln und Petitionen zu kritisieren. Aus heutiger Sicht waren die Forderungen von Helene Lange und ihren Mitstreiterinnen relativ zahm, damals lösten sie einen Sturm der Entrüstung aus: Naturwissenschaftlicher Unterricht, Religion und Deutsch sollten von speziell ausgebildeten Lehrerinnen gegeben werden. Vom Staat verlangte sie den Aufbau von wissenschaftlichen Lehranstalten für die künftigen Lehrerinnen. Jahrzehnte sollten vergehen, bis ihr Ziel erreicht und Mädchen zum Abitur sowie zum Hochschulstudium zugelassen wurden. An diese Leistung erinnert noch heute eine Tafel in der Kunz-Buntschuh-Straße in Halensee, in der sie lange lebte.

Obwohl sie ihr ganzes Leben für die Gleichberechtigung stritt, war Helene Lange in der Emanzipationsbewegung eine umstrittene Gestalt, da sie in all ihren Schriften die Unterschiede zwischen Männern und Frauen betonte. Ganz fest glaubte sie daran, dass Männer niemals die "menschlich- weibliche" Seite der Mädchen verstehen können. Der wichtigste Charakterzug von Frauen war für sie die "Mütterlichkeit", die ihnen eine besondere Befähigung zum Lehren und Unterrichten verleihe.

Auch wenn diese Theorie heute einigermaßen naiv wirkt - der Beruf der Lehrerin übt seit Helene Langes Wirken eine geradezu magische Anziehungskraft auf junge Frauen aus. Seit Jahrzehnten liegt in Deutschland der Anteil von Frauen beim Lehrpersonal höher als der von Männern, an Grundschulen beträgt er sogar etwa 90 Prozent. Eine Entwicklung, die Pädagogen für bedenklich halten. Den Jungen, so heißt es, fehlen in der Erziehung die männlichen Vorbilder, was sich in schlechteren Schulabschlüssen und häufigerem Abbruch der Schullaufbahn niederschlägt. Die Jungen, denen früher alleine das Recht auf Hochschulbildung vorbehalten blieb, gelten jetzt als die wahren "Verlierer des deutschen Schulsystems".