Streitthema Schminken

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Sabine Henning

Anna hat jeden Fingernagel in einer anderen Farbe lackiert. Zu besonderen Gelegenheiten benutzt die Fünfjährige aus Hamburg einen farblosen Lippenstift. «Ich finde, dass Schminken hübsch aussieht», sagt der blonde Wirbelwind mit den langen Zöpfen.

In Annas Alter bedeutet Schminken noch Rollenspiel. «Aber ab acht Jahren fangen Mädchen an, ihr Selbstwertgefühl an das Aussehen zu knüpfen», weiß die Entwicklungspsychologin Christiane Papastefanou aus Ludwigshafen. Die empfindliche Haut der Kleinen kann auf Verschönerungsversuche jedoch mit Allergien reagieren: Dermatologen warnen daher vor zu viel Kosmetik bei Kindern. «Normale Haut braucht keine extra Pflege», sagt Professor Thomas Bieber, Direktor der Universitätsklinik für Dermatologie in Bonn. Und auch bei trocken-empfindlicher Haut mit Anlage zur Allergie sollten Eltern die Regel «Weniger ist mehr» beherzigen. Dazu gehöre, nicht zu oft und zu lange zu baden. «Eltern sollten ihr Kind lieber kurz duschen», rät der Arzt. Pflegepräparate sollten einfach zusammengesetzt sein und die Rückfettung der Haut nach dem Bad ermöglichen.

Für Problem- wie für normale Haut gilt: Cremes und Lotionen mit Duft- und Konservierungsstoffen sollten möglichst vermieden werden. Auch wenn diese Substanzen in den meisten Baby- und Kindercremes enthalten sind, zählen sie zu den Hauptkontaktallergenen. Darüber hinaus stellen Cremes mit Naturessenzen wie Ringelblume (Calendula) oder Melkfettprodukte ein Risiko dar. «Die Bereitschaft des Körpers mit Allergien zu reagieren, wird im Kindesalter erworben», warnt Bieber.

Auch von Gesichtspflege und Schminken auf täglicher Basis für ältere Mädchen rät der Fachmann ab. «Das ist aus ärztlicher Sicht nicht sinnvoll», so Bieber. Bereits im Alter zwischen zehn und elf Jahren könne Akne entstehen. Täglich aufgetragene Tagescremes könnten die Störung noch verschlimmern: Denn die Haut braucht kein zusätzlich aufgetragenes Fett und bildet Pickel. Ratsamer sei bei Akne-Neigung eine entfettende Gesichtsreinigung. Trotzdem möchten viele Mädchen nicht darauf verzichten, ihr Gesicht mit Lipgloss, Wimperntusche oder Rouge zu verschönern. So gaben 8,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 19 Jahren im vergangenen Jahr ihr Taschengeld für Köperpflege und Kosmetika aus. Das geht aus der von den Verlagen Bastei, Axel Springer und Bauer herausgegebenen KidsVerbraucherAnalyse hervor.

Und die Schönheitswelle erfasst Mädchen immer früher: Bereits mit acht bis neun Jahren möchten sie ihr Aussehen mit Hilfe von dekorativer Kosmetik verändern, beobachtet Christiane Papastefanou. «Die Hälfte der Mädchen in diesem Alter ist Studien zufolge mit ihrem Äußeren unzufrieden», weiß sie. In der dann beginnenden Vorpubertät spielten Mädchen mit ihrer künftigen Identität als Frau. «Sie möchten etwas Besonderes sein, ihre Weiblichkeit betonen.» Dazu gehöre nach außen zu zeigen, dass sie sich pflegen.

Eltern beschleicht allerdings häufig ein unangenehmes Gefühl, wenn sich ihre Tochter vor dem Schminkspiegel in eine kleine Lolita verwandelt. So soll auch Anna möglichst nicht mit rot angemalten Lippen vor die Haustür gehen, oder diese Farbe für die Nägel wählen. «Das finde ich nicht kindgemäß», begründet ihre Mutter Christina Heitfeld.

Die Kosmetikindustrie bietet zwar spezielle Produkte für die sehr junge Zielgruppe an. «Aber bei Kindern sind die deutschen Hersteller vorsichtig», weiß Gisela Reinecke, Sprecherin des Verbandes der Vertriebsfirmen Kosmetischer Erzeugnisse (VKE) in Langenfeld (Nordrhein-Westfalen). Zu weit verbreitet sei die Befürchtung, Kindesmissbrauch zu fördern. Dass das Schminken bei Kindern Grenzen hat, betont auch Psychologin Papastefanou: Wenn der spielerische Charakter verloren gehe und sich ein Mädchen ohne Lidschatten und Make-up nicht mehr aus dem Haus traue, sollten Eltern eingreifen. «Sie sollten ihrer Tochter im Gespräch vermitteln, dass das Äußere nichts über den Wert eines Menschen aussagt und sie auch ohne Schminke schön ist», rät sie.

Bei älteren Mädchen sollten Mütter allerdings gelassen bleiben, wenn ihr weiblicher Nachwuchs einmal etwas tiefer in den Farbtopf greift. «Eltern sollten stärkere Schminke nicht verbieten, dadurch wird sie nur interessanter», rät Papastefanou. Mädchen wollten verschiedene Stile ausprobieren - das richtige Maß pendele sich von selbst in der Clique ein. Diplompsychologin Sabine Skutta vom Arbeitskreis Neue Erziehung e.V. in Berlin betont, dass das Schminken für ältere Mädchen mehrere Funktionen erfüllen kann: «Einerseits sehen sie es als Mittel, sich erwachsen, weiblich und attraktiv zu fühlen, andererseits als eine Möglichkeit, sich von den Maßstäben der Eltern und Lehrer abzugrenzen.» Mit beidem übten die Mädchen jetzt das, was sie schon bald gut beherrschen müssten: «weiblich und attraktiv zu sein und sich eigene Werturteile zu bilden, zu vertreten und sich nicht nur Gegebenheiten oder Autoritäten zu fügen».

Wenn Mädchen sich häufiger schminken, ist eine sorgfältige Hautreinigung Pflicht. «Sie sollten dabei vor allem Produkte für empfindliche Haut wählen», rät Hautärztin Gunhild Kratzsch aus Leipzig. Einfacher Trick: Christina Heitfeld streicht ihrer Tochter manchmal Honig auf die Lippen - und bringt sie dadurch zum Glänzen.