Siobhan Stagg

„Ich liebe Rollen, die emotionale Tiefe haben“

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Martina Helmig

Die Sopranistin Siobhan Stagg gibt am 20. Dezember ihr Debüt als Pamina in Mozarts „Zauberflöte“

Ihr erstes Mal an der Deutschen Oper Berlin wird sie nie vergessen. Nicht nur, weil die 26-jährige Siobhan Stagg (26) mit der Woglinde damals ihr Wagner-Debüt gab, sondern auch, weil ihr Gesangslehrer eigens dafür aus dem fernen Australien angereist war, um die Vorstellung erleben zu können. „Und als ich in die Garderobe kam, stand das ganze Zimmer voller Blumen“, erzählt die Sängerin. Freunde aus Australien hatten das Blumenmeer für die „Rheintochter“ arrangiert.

Mindestens ein Jahr lang ist die Sopranistin als Stipendiatin des Förderkreises an der Deutschen Oper engagiert. Sie weiß schon jetzt, dass sie gern länger bleiben würde: „Berlin wäre auch später eine großartige Basis, um in ganz Europa zu singen.“ Seit ihrer Ankunft im Oktober hat sie schon viel erlebt. Vor ihrem Waldvogel-Debüt in „Siegfried“ fragten die Techniker: „Haben Sie Angst vor dem Fliegen?“ und schnallten sie im Fluggeschirr fest. „Ich weiß nicht“, antwortete sie, „ich habe das noch nie gemacht.“ Dann schwebte sie singend fünf bis acht Meter über dem Bühnenboden. „Das war fantastisch, ich habe nie etwas Vergleichbares erlebt.“

Überrascht war sie von den vielen jungen Leuten in der „Opera Lounge“. Begeistert erzählt sie, dass kein Geringerer als Generalmusikdirektor Donald Runnicles sie beim Tischlereikonzert am Flügel begleitete. In 13 Produktionen der Deutschen Oper ist Siobhan Stagg in dieser Saison eingeplant. „Das ist wunderbar“, findet die Stipendiatin. „Schließlich bin ich hier, um zu lernen.“ Die Erste Dame in der „Zauberflöte“ hat sie schon gesungen. Am 20. Dezember folgt ihr Debüt als Pamina. Bei den Salzburger Festspielen hat sie die Rolle schon einmal gespielt, aber nur in einer Kurzfassung für Kinder. In den nächsten Jahren wird sie oft als Pamina auf der Bühne stehen. „Ich spiele gern Rollen, die emotionale Tiefe haben, aber Komödien liegen mir auch. Eigentlich liebe ich die Abwechslung“, überlegt sie.

Siobhan Stagg stammt aus Mildura, einem kleinen Städtchen im Süden Australiens, das vor allem für seine Trockenfrüchte bekannt ist. „Wir singen aber auch gern in Mildura. Man sagt, da müsse irgendetwas im Wasser sein“, so die Sopranistin. Mit zwölf Jahren sang die Lehrertochter „Amazing Grace“ auf der Beerdigung ihres Großvaters. Eine Tante erkannte ihr Talent und bezahlte die ersten Gesangsstunden. Siobhan sang Pop und Jazz in Schulkonzerten, bei Familienfeiern und in der Kirche. Eigentlich wollte sie Medizin studieren. Beim Tag der offenen Tür der Universität Melbourne erfuhr sie, dass es auch einen Studiengang für Gesang gibt. Sie wusste sofort, dass sie das unbedingt wollte. Da es in Melbourne kein Opernstudio gab, gründete sie mit Kommilitonen die freie Gruppe „Opera Down Under“, führte Mozarts „Schauspieldirektor“ und Hasses „Antonio e Cleopatra“ auf. Das kleine Opernunternehmen existiert noch immer. Während ihrer Studienzeit gewann die zielstrebige Sängerin zahlreiche Preise und Stipendien für Auslandsaufenthalte.

„In Australien sind wir weit entfernt von den Zentren der Opernwelt, und es ist schwer für junge Sänger, internationale Maßstäbe zu bekommen. Um das auszugleichen, gibt es besonders viele Reisestipendien“, erklärt Siobhan Stagg. So konnte sie früh in Graz, Salzburg, New York, Cardiff und Italien studieren und auftreten. Seit dem Sommer hat sie nun ihr Diplom in der Tasche. Ihre bei Move Records erschienene Debüt-CD „Hymne à l’amour“ wurde in Australien schon als bestes klassisches Album des Jahres nominiert. In Berlin möchte sie sich ganz auf ihre musikalische Entwicklung konzentrieren. Ihre Karriere hat so schnell Fahrt aufgenommen, dass sie sich manchmal kneifen muss. In ihrer Charlottenburger Wohnung ist sie selten allein: „Berlin ist so attraktiv, all meine Freunde und Bekannten aus Australien, Italien und Cardiff besuchen mich gern.“

Mit Begeisterung lernt sie neue Rollen und die deutsche Sprache. Sie liebt ihre Heimat Australien, aber jetzt fühlt sie sich angekommen im Zentrum von Kunst, Kultur und Geschichte. „Ich gehe durch Straßen, durch die auch berühmte Komponisten gelaufen sind. Ich spüre ihre Energie“, meint Siobhan Stagg. Vor allem die Oper hat einen ganz anderen Stellenwert als in ihrer Heimat. „Opernhauptstadt steht auf Plakaten in der U-Bahn“, staunt sie – und kann es kaum fassen, dass sie nun dazugehört.