«Haben die Sache nicht im Griff»

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Michael Link

Nach dem bestialischen Mord an einem Jugendlichen in Potzlow (Uckermark) erkennt Superintendent Rolf Wischnath an, dass im Land «Alltagsrassismus» die Regel sei. Gleichzeitig ist die Sozialarbeit mit Rechtsradikalen ins Zwielicht geraten: Ihr wird Erfolglosigkeit vorgeworfen.

Potzlow/Potsdam - Der Vorsitzende des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg, Rolf Wischnath, beklagt den «Alltagsrassismus» im Land. Pöbeleien, Beleidigungen sowie ständige Diskriminierungen und tätliche Übergriffe seien fast normal, sagte Wischnath am Freitag in Potsdam. Er bekräftigte seine Einschätzung, dass man die Situation noch nicht im Griff habe. Gleichzeitig warnte er davor, den Schülermord von Potzlow politisch zu instrumentalisieren. «Es ist erschreckend, wohin seelische Verwahrlosung, gepaart mit rechtsextremer Einstellung, führen kann», sagte Wischnath, der Generalsuperintendent der evangelischen Kirche in Cottbus ist. Die von antifaschistischen Gruppen für heute angekündigten Demonstrationen in Potzlow und Prenzlau bezeichnete Wischnath als kontraproduktiv: «Der Tod eines jungen Menschen darf nicht funktionalisiert werden», sagt er. Die Demos richten sich auch gegen die dort betriebene Jugendarbeit, die angeblich rechte Gesinnung unter Heranwachsenden akzeptiere.

Auf bestialische Art, die selbst den ermittelnden Kripobeamten die Stimme verschlug, brachten die mutmaßlichen Täter Marco Sch. (23), Marcel Sch. (17) und Sebastian F. (17) am 12. Juli den 17-jährigen Schüler Marinus S. nach einem gemeinsamen Trinkgelage um. Die Frage, wie es zu diesem Mord kommen konnte, treibt seither Jugendliche und Erwachsene im Dorf, Sozialarbeiter, Politiker und die Medien um. Sind etwa die Sozialarbeiter und Psychologen gescheitert? «Das kann man trotz dieses grausigen Ereignisses nicht sagen», meint Andreas Hilliger, stellvertretender Leiter der Initiative der Landesregierung «Tolerantes Brandenburg». Mit sechs Millionen Euro pro Jahr finanziert das Land seinen Anteil an einem Programm, das die Jugendlichen für Toleranz gewinnen und gegen Fremdenfeindlichkeit immun machen soll. 610 Stellen werden damit finanziert - 60 Prozent müssen die Kreise und kreisfreien Städte hinzugeben.

Finanziert werden davon Stellen wie die von Petra Freiberg (42), Sozialarbeiterin im Jugendclub von Strehlow. 1997, als nahe Potzlow ein 42-Jähriger von Jugendlichen totgeschlagen wurde, kam sie hierher, um das Jugendzentrum aufzubauen - ein Projekt, das gezielt gegen Fremdenfeindlichkeit in der Region vorgehen sollte. «Frau Freiberg macht hier eine sehr gute Arbeit - auch mit Jugendlichen, die zur rechten Szene neigen», sagte Peter Feike, Bürgermeister der Großgemeinde Unter-Uckersee, nachdem die Leiche gefunden war. Auch beim Mobilen Beratungsteam der Landesinitiative «Tolerantes Brandenburg» wird die Arbeit der Sozialarbeiterin geschätzt: «Ihr ist es gelungen, in einem rechten Umfeld Jugendliche für die Gewaltfreiheit und Respektierung der Menschenwürde zu gewinnen», sagt Teamchef Wolfram Hülsemann. Werte wie Respekt vor der Meinung anderer, Gewaltfreiheit, Achtung der Menschenwürde galten etwas vor dem Clubhaus - nicht nur, wenn Petra Freiberg drinnen arbeitete: «Die Jugendlichen selbst achteten darauf, dass diese Normen eingehalten wurden», hat Hülsemann erfahren. Ein an die «Grenze der Selbstausbeutung gehendes Engagement» hat Hülsemann beim Besuch im Jugendzentrum in Strehlow festgestellt.

Doch eine Frau alleine war inmitten eines Umfeldes, in dem «auch bei Erwachsenen fremdenfeindliche Haltungen als negative Vorbildschablonen» dienen, so Andreas Hilliger, offenbar überfordert. «Es scheint, als sei der Mord eine Niederlage für uns», sagte Petra Freiberg nach der grausigen Entdeckung. Es scheint, als sei er eine Niederlage für eine Bevölkerung, die in den Umbrüchen seit der Wende ihre Erziehungskompetenz und ihre Werte verloren habe, vermutet Hilliger.