lm landesweit ersten Prozess gegen Psychiater wegen ihrer möglichen Mitverantwortung für zwei Morde eines Sexualstraftäters hat Oberstaatsanwalt Wolf-Rüdiger Ludwig gestern eine einjährige Haftstrafe gefordert.
Den beiden Ärzten stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Oberstaatsanwalt Wolf-Rüdiger Ludwig hatte zum Ende seines anderthalbstündigen Plädoyers gerade eine Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung gefordert. Ihnen droht der Verlust der ärztlichen Zulassung.
Beide Fachärzte, Tilo L. als Chefarzt und Jürgen H. als Oberarzt, hätten «bewußt fahrlässig» gehandelt. Sie hätten es dem notorischen Sexual- und Gewaltverbrecher Raymond Schwanke durch eine «ärztlich fehlerhafte» Lockerungspraxis ermöglicht, im Oktober 1998 aus der Landesklinik Brandenburg zu fliehen. Das war bereits die fünfte Flucht des Gewaltverbrechers. Für acht Monate tauchte er in Berlin unter, ermordete zwei ältere Damen, überfiel zehn Frauen in ihren Wohnungen, raubte sie brutal aus und vergewaltigte eine.
Ludwig ließ keinen Zweifel daran, dass dafür die beiden Ärzte «mitverantwortlich» seien. Sie hätten trotz gegenteiliger Befunde anderer Gutachter dem Patienten Schwanke immer wieder Lockerungen gewährt, obwohl er diese Ausgänge auf dem Klinik-Gelände, mal bewacht, mal unbewacht, während seines Aufenthaltes immer wieder zur Flucht genutzt hatte.
Der Berliner Neurologe und Psychotherapeut Dr. Alexander Böhle attestierte den Angeklagten falsche Entscheidungen bei Behandlung und Prognose Schwankes sowie bei der Lockerungspraxis. «Es hätte einer eingehenden Sozialtherapie bedurft, die aber nicht geleistet wurde, vielleicht auch nicht geleistet werden konnte. Aufgrund der vorangegangenen Verbrechenskarriere, seiner Persönlichkeitsstörung und der mangelnden Therapiefortschritte musste Schwanke weiterhin als extrem gefährlich eingeschätzt werden. Vor diesem Hintergrund waren die Lockerungen ein Fehler», sagte Böhle. Manchmal seien sie nur wenige Tage nach einer erneuten Flucht gewährt worden. «Es war vorhersehbar, dass Schwanke nach einer Flucht in Freiheit wieder schwere Straftaten begehen würde», so der Gutachter. So habe Schwanke zum Beispiel damit geprahlt, er könne seine Opfer so würgen, dass sie zwar nicht erstickten, aber auch keinen Widerstand mehr leisteten. Der Staatsanwalt sagte in Richtung der Angeklagten: «Schwanke hatte sich zum Herrn über Leben und Tod aufgeschwungen, das wussten sie».
Chefarzt-Verteidiger Hans-Jürgen Grünwald forderte dagegen Freispruch für Tilo L., weil nicht vorhersehbar gewesen sei, dass Schwanke Menschen töten würde. «Das war nicht erkennbar». Schwanke sei zum fraglichen Zeitpunkt zwar ein Sexualstraftäter, aber noch kein Mörder gewesen. 27 Ausgänge auf dem Klinikgelände wären überdies problemlos verlaufen. Es gebe bei den Prognosen immer ein «Restrisiko.» Die Urteilsverkündung ist für Freitag vorgesehen.