West-Virginia in Ostdeutschland

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Matthias Steube

Vierraden - Grün müssen sie sein, nicht dunkel-, nein, lindgrün: die Tabakblätter, wenn sie von den rauen Händen der Pflücker abgezupft und auf das Förderband der Erntemaschine gepackt werden sollen. Sechs Frauen sitzen auf dem mächtigen Ernte-Ungetüm, das auf einer riesigen Plantage die langen Reihen entlang tuckert. Wenn sie jetzt noch singen würden, man fühlte sich glatt wie in West-Virginia. Aber wir sind in Ostdeutschland, in seinem größtem Tabakanbaugebiet (40 Hektar), im Dörfchen Vierraden, nördlich von Schwedt. Dort läuft die Ernte der Blätter für den blauen Dunst auf vollen Touren.

Nächsten Mittwoch sollen 32 Tonnen vom Hof Richtung Lahr in Baden-Württemberg rollen. Die Lahrer, Investoren in der Uckermark, verarbeiten sie weiter, drehen sie zu Roth-Händle. «Ende September wollen wir die Ernte mit 120 Tonnen abgeschlossen haben», sagt Ralf Molzahn, Landwirt und Geschäftsführer der Uckermark Tabak GmbH.

Im Blaumann steht er am Sortiertisch, prüft die Qualität der bereits getrockneten Blätter: Goldgelb müssen sie sein und unbeschädigt. Nur so erfüllen sie die Qualitätsbedingungen für Klasse 1. Dank des Wetters in diesem Jahr kein Problem, auch wenn der Uckermärker Tabak wegen seines schwachen Aromas nur als Füllstoff in den Filterlosen dient. «Es ist wunderbar feucht, wenn es so bleibt, bekommen wir eine Rekordernte», meint Molzahn.

Für die Pflückermannschaft - 26 Deutsche, 12 Polen - bedeutet das: Tag für Tag eine 12-Stunden-Schicht auf der Maschine, sortieren des «Krautes», verpacken in riesige Pappkartons. «Es ist ein harter Job.» Einsilbig berichtet Ilona Schmid von ihrer Arbeit auf der Erntemaschine. Vier Euro pro Stunde bringt er. Das Arbeitsamt legt für die Deutschen noch einmal pro Tag bis zu 23 Euro drauf. «Eigentlich kein schlechter Verdienst», meint Molzahn. Trotzdem hat er seine Not, Erntearbeiter zu finden. Ob er noch genug Leute auftreiben kann, wenn er die Anbaufläche in den nächsten zwei Jahren auf 60 Hektar erweitern und eine neue Produktionshalle baut, weiß er nicht. «Dabei haben wir hier eine Arbeitslosenquote von 23 Prozent.»

Kopfschüttelnd stapft er Richtung Trockenöfen, wo grüne Blätterbündel innerhalb von sechs Tagen bei Temperaturen zwischen 38 und 70 Grad zur goldbraunen Rohware reifen. Aus 21 Tonnen frischem Grün werden so 1,8 Tonnen schnittfertiger Ware.

Früher, und da darf getrost 300 Jahre zurückgeblättert werden, haben die Vierradener Tabakbauern in Scheunen getrocknet. Im 1000-Seelen-Ort findet sich neben einem Tabakmuseum (Breite Straße 15) noch mancher Speicher mit den typischen Holzläden unterhalb der Traufe, durch die der Wind die Blätter trocken blies. Seinerzeit wurde die Ernte mit der «Tabakköst» beendet.

Heute feiern die Vierradener «Tabakblütenfest» (in diesem Jahr vom 23. bis 25. August). Darauf freuen sich - auch wenns noch mitten in der Ernte ist - Ralf Molzahn und seine Pflückerbrigade. Und vielleicht singen sie dann doch vom Virginia, dem Tabak aus der Uckermark.