«Ideal ist die offene Ganztagsschule»

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Potsdam - Im Streit um die geplanten Sekundarschulen in Brandenburg zeichnet sich eine Lösung ab. Die SPD und Bildungsminister Steffen Reiche wollen die Schulform offenbar doch zulassen. Den Vorschlag der SPD-Fraktion für eine neunjährige gemeinsame Schulzeit halten er und der Hamburger Erziehungswissenschaftler Prof. Peter Struck für diskutierfähig, aber nicht durchsetzbar. Mit ihnen sprach Gudrun Mallwitz.

Herr Reiche, angesichts drohender Schließungen ist die Stimmung an vielen Schulen schlecht. Ihnen wird vorgeworfen, die Entwicklung laufen zu lassen.

Reiche: Der Vorwurf ist Teil des Wahlkampfs. Wir sind mit den Schulen und den Kreisen im Gespräch. Wegen des Geburtenrückgangs beginnen in diesem Schuljahr 80 Standorte zu wackeln. In den nächsten beiden Jahren wird die Situation dramatischer. Dann halbieren sich die Schülerzahlen in der 6./7. Klasse. Es hilft niemandem, wenn wir schon jetzt Klassen mit zweimal 15 Schülern zulassen. Ausnahmeregelungen können erst ab 2004 gelten. Die Schulen müssen langfristig Bestand haben.

Die Kommunen steckten Millionen in bald nicht mehr benötigte Schulgebäude, das Land investierte in Computer. Rausgeworfenes Geld?

Reiche: Die Investition des Landes wird sich lohnen. Auch wenn eine Schule nur noch vier Jahre existiert, bin ich verpflichtet, den Schülern Kontakt zu neuen Medien zu ermöglichen. Problematisch sind die Investitionen, die von Kommunen getätigt wurden. Offenbar hoffen sie, das Rennen um die Standorte mit dem schönsten Bau zu machen.

Die SPD will die Sekundarschule als Ersatz für die Realschule und die Gesamtschule flächendeckend einführen, die CDU nur dort, wo es aufgrund des Schülermangels nötig ist. Wird sich die SPD bewegen?

Reiche: Ja, das wird sie. Ich halte die Lösung für angemessen, Sekundarschulen dort einzurichten, wo Realschulen und Gesamtschule nicht genügend Schüler haben. Viele Bundesländer gehen den Weg.

Berlin will wie Rheinland-Pfalz das Abitur nach zwölfeinhalb Jahren. In Brandenburg bleibt es in der Regel bei 13 Jahren. Warum nicht einheitlich?

Reiche: Ich halte die Mainzer Studienstufe für keinen guten Weg, weil er in Deutschland nicht mehrheitsfähig sein wird und sich die Hochschulen nicht darauf einstellen werden und die Erstsemester im Juni aufnehmen. Die Koalition wird vor der Sommerpause die Zukunft der Schnellläuferklassen und die Entwicklung des Sechs-plus-Sechs-Modells regeln. Vorgesehen war, Schnellläuferklassen ab nächstem Schuljahr erst bei 25 Anmeldungen zu eröffnen. Ich halte 20 Schüler an einigen Standorten für ausreichend.

Wie stehen Sie zum Appell aus der CDU, die Eltern von Schulschwänzern mit Geldstrafen zu belegen?

Reiche: Das ist nicht die Lösung. An Schulschwänzern haben das Elternhaus und die Schule versagt. Insofern müssen wir pädagogische Maßnahmen entwickeln, damit sich Schüler, die Misserfolge haben, zu lernbereiten Kindern entwickeln.

Herr Struck, wie wichtig ist der geplante Ausbau des Ganztagsschulennetzes in Brandenburg?

Struck: Neben der Schweiz und Österreich hat nur Deutschland die Halbtagsschule. Die Kinder sitzen zu viel vorm Fernseher und Computer. Wir sollten die Ganztagsschule aber nicht obligatorisch wie in Frankreich einführen. Ideal ist die offene Ganztagsschule, sie kann flexibel besucht werden.

Nach Erfurt fordert Innenminister Jörg Schönbohm, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass Eltern auch über Probleme mit volljährigen Schülern informiert werden.

Struck: Auch im Fall des Amokläufers Robert Steinhäuser in Erfurt hatten Eltern und Lehrer in den Jahren vor seiner Volljährigkeit Zeit, ein gutes Verhältnis aufzubauen. Doch Eltern und Schule arbeiten nebeneinander her. Um dieses Grundproblem zu lösen, muss es neben dem Fachlehrer-Studium eine Ausbildung zum Klassenlehrer geben. Dazu gehören Bewegungserziehung, Spiel- und Medienpädagogik sowie Suchtprävention.

Die SPD-Landtagsfraktion hat mit ihrem Vorschlag, neun Jahre Grundschule einzuführen, für Schlagzeilen gesorgt. Will das Land Brandenburg etwa die Gymnasien abschaffen?

Reiche: Nein. Der Vorschlag der Fraktion ist eine Einladung zur Diskussion.

Struck: Mit durchschnittlich vier Jahren hat Deutschland die kürzeste Grundschulzeit und mit 27 Prozent von 31 Ländern die niedrigste Abiturquote. Spätentwickler werden nicht mit einbezogen. Die Idee der langen gemeinsamen Schulzeit ist gut, aber nicht durchsetzbar. 55 Prozent der deutschen Eltern wünschen für ihr Kind das Gymnasium. Keine Partei kann die Gymnasien abschaffen, ohne die Wahlen zu verlieren.