Abiturprüfungen unter Polizeischutz

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Volker Kring

Erkner - «Es war der reinste Horror», ruft eine Schülerin der 13. Klasse ihrer Freundin zu. Wie aus dem Wasser gezogen verlässt sie den Neubau des Carl-Bechstein-Gymnasiums in Erkner (Oder-Spree). Auch ihren Mitschülern steht die Anspannung der vergangenen Stunden noch ins Gesicht geschrieben. Seit am Dienstag auf dem Schulhof des Gymnasiums die ersten von insgesamt 106 im Umkreis von zwei Kilometern verteilten scharfen Pistolenpatronen und ein Gedicht, in dem von toten Lehrern die Rede ist, gefunden wurden, geht im Ort die Angst vor einem Blutbad wie in Erfurt um.

Weniger bei den Schülern, mehr bei den Lehrern. Die Erkneraner Abiturienten hatten auch gestern mehr Furcht vor den Fragen, die es in den schriftlichen Abiturprüfungen zu beantworten galt. Den Munitionsfund und das schlimme Gedicht nahmen die Gymnasiasten dagegen gelassen auf.

Dass auf dem Schulhof ein Streifenwagen steht und Zivilbeamte im Schulgebäude unterwegs sind, daran stören sich die Prüflinge nicht. «Das ist eben die Reaktion auf den Fund», sagt Sebastian König, der gerade seine Geschichtsprüfung hinter sich hat.

Da machen sich die Lehrer viel mehr Gedanken. «Die Schüler sind so schon aufgeregt und nun noch eine Prüfung unter diesen Bedingungen», bedauert Svea Oehing ihre Schützlinge. Nach Erfurt sind die Ereignisse für sie erschreckend. Angst habe sie nicht. Jedenfalls nicht viel. Aber besorgt sei sie schon. Und da ist sie sich mit den meisten ihrer Kollegen einig. Gänzlich verhindern könnten auch Lehrer solche Taten nicht, aber im Unterricht darauf hinwirken, dass die Schüler zu anderen Einstellungen gelangen, sagt Svea Oehing.

«Das ist doch alles Quatsch. Da hat nur einer einen blöden Scherz gemacht», sagt Sebastian König. Viel mehr als die Frage, ob vielleicht ein Bewaffneter durch die Schule schleicht, hat ihn bis eben die Entwicklung der sozialen Frage beschäftigt. In der Prüfung galt es dazu einen Quellentext aus dem Jahr 1850 zu analysieren.

Auch Regine Müller hat sich nur auf das Abi konzentriert: «Wer wirklich was plant, der schmeißt doch vorher nicht mit Patronen rum.» Benjamin Fehse scherzt: «Die Pistole ist doch jetzt nutzlos, wo alle Patronen verteilt sind.»

Nicht einmal ein Kugelschreiber, der vom Tisch fällt und in die angespannte Prüfungsruhe kracht, kann die Schüler aus dem Gleichgewicht bringen. Nur kurz streifen die Gespräche der Abiturienten den Polizeischutz und den Schüler der 9. Klasse, der das Gewaltgedicht geschrieben, mit den Patronen aber nichts zu tun hat. Dann sprechen sie wieder über die Prüfungen. Keine Spur von Erfurt.

Am Ende gibt es aber doch eine Schülerin, auf die die Ereignisse Eindruck gemacht haben. «Sie hat angerufen und gefragt, ob die Prüfungen heute überhaupt stattfinden, weil sie morgens keine Polizei vor der Schule gesehen hat», erzählt Schulleiter Peter Müller. Nächste Woche soll die Polizei das Gymnasium während der Prüfungen wieder schützen. Dann sind die Prüfungen abgeschlossen. Direktor Müller hofft, dass danach auch die Normalität wieder einzieht.