Auch bei der stationären medizinischen Versorgung klaffen große personelle Lücken. In den insgesamt 50 Kliniken in Brandenburg fehlen 160 Fachärzte, sagt der Geschäftsführer der Landeskrankenhausgesellschaft Brandenburg, Dieter Borchmann. Nun verschärft sich die Situation noch, weil die Berliner Charité ihre Nachwuchs-Ärzte künftig nicht mehr in die akademischen Lehrkrankenhäuser nach Brandenburg schicken will. Bisher machten Berliner Medizinstudenten ihre studienbegleitenden Praktika auch an den Betten von Patienten in brandenburgischen Kliniken.
Hintergrund der Charité-Entscheidung ist ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts, wonach sich junge Leute für einen Medizinstudienplatz einklagen können, weil sich die Zahl der Studienplätze an der Bettenzahl der Lehrkrankenhäuser orientiert. Da die Zahl der Medizinstudienplätze in Berlin in den kommenden Jahren gesenkt werden soll, wurde die Kooperation für studienbegleitende Hospitanzen von Charité-Studenten in brandenburgischen Kliniken gekündigt.
"Wir brauchen mehr Mediziner", fordert Dieter Borchmann, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft. Wenn sich die Zahl der Ärzte nicht erhöhe, müsse Brandenburg den Nachwuchs selbst ausbilden, folgert Borchmann.
Private medizinische Hochschule
Bislang regelt der Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg, dass der Medizinernachwuchs in Berlin ausgebildet wird. Brandenburg hat keine eigene medizinische Hochschule. Im Gegenzug hat sich Brandenburg auf das Geschäft mit der stationären Rehabilitation konzentriert, während in Berlin überwiegend ambulante Reha angeboten wird.
Borchmann ist nicht der einzige, der sich eine medizinische Fakultät für Brandenburg herbeisehnt. Seit langem hegt auch die noch bis Ende September amtierende Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (O.), Professor Gesine Schwan, den Wunsch, eine eigene medizinische Fakultät in Frankfurt zu etablieren. Ein fertiges Konzept für eine private medizinische Hochschule liegt schon in ihrer Schublade. Die privaten Klinikbetreiber Rhön-Klinikum AG und die Helios Kliniken GmbH hatten Interesse und Finanzhilfe signalisiert, dies aber wieder zurückgezogen. Das größte Handicap, so Viadrina-Vizepräsident Alfred Kötzle, sei die Finanzierung. "Ein paar Millionen Euro Anschubfinanzierung sind da schon nötig."
Heidrun Grünewald, Geschäftsführerin des Cottbuser Carl-Thiem-Klinikums, mit 1350 Betten das größte Klinikum in Brandenburg, ist ebenfalls eine Verfechterin davon, den Mediziner-Nachwuchs in Brandenburg auszubilden. Sie setzt auf den "Klebeeffekt". Wenn die Medizin-Studenten erlebten, welche modernen Kliniken es in Brandenburg gebe, dann blieben sie auch dort, meint Grünewald. Ihre Devise: "Brandenburger für Brandenburg." Ihr Kollege Thomas Erler, stellvertretender ärztlicher Leiter des Klinikums, meint, die aktuelle Situation zwinge die Kliniken, über eine eigene Medizinerausbildung nachzudenken. Allein im Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum seien etwa 20 Arztstellen nicht besetzt. Es sei geradezu eine "Überlebensstrategie", die Mediziner selbst zu schulen.
Desolate Situation auf dem Land
Das Gesundheits- und das Wissenschaftsministerium sehen das anders. Beide Ministerien lehnen aus Kostengründen eine medizinische Fakultät in Brandenburg ab. Das Gesundheitsministerium versucht auf andere Weise, an Ärzte zu kommen. Als erstes Bundesland hat Brandenburg zusammen mit der "Otto Benecke Stiftung" und der Gesellschaft für berufsbildende Maßnahmen in Berlin ein Weiterbildungsprojekt für zugewanderte Ärzte ohne Berufserfahrung in Deutschland konzipiert. Das Pilotprojekt startete Anfang des Jahres: Zugewanderte, arbeitslose Mediziner werden innerhalb von zehn Monaten sprachlich und fachlich fit gemacht. Schaffen sie dann den hier gültigen Abschluss, die Gleichwertigkeitsprüfung vor der Landesärztekammer, dann können sie als Ärzte praktizieren. Etwa 20 Kandidaten besuchen diese Mediziner-Fortbildung derzeit, sagt Ministeriumssprecher Büttner.
Im Schulterschluss kämpfen mehrere Organisationen des Gesundheitswesens dafür, dass sich Ärzte auch in kleinen Orten niederlassen. Kommunen kommen den Medizinern sogar soweit entgegen, dass sie ihnen die Miete für die Praxisräume erlassen. Die Kassenärztliche Vereinigung vergibt an Praxisgründer zinslose Darlehen.
Auch "Schwester Agnes" soll helfen, die medizinische Grundversorgung auf dem Lande zu sichern. Im gleichnamigen Projekt wurden Pflegerinnen zu Gemeindeschwestern umgeschult, die nun im Auftrag von Ärzten Hausbesuche machen. "Das sind alles nur Bausteine", räumt der Sprecher des Gesundheitsministeriums ein. "Ein Patentrezept gegen den Ärztemangel gibt es nicht."
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