Sie helfen Alten in Not und Müttern während der Schwangerschaft. Sie wollen Kinder zum Lesen animieren oder die Erinnerung an vergessene Künstler wecken. 850 Stiftungen gibt es in Berlin. Hinter ihnen stecken Menschen, die Zeit, Geld und Leidenschaft investieren. Wir haben sechs Stifter besucht

Wer hat, der gibt ab. Auf ewige Zeiten. Und was gibt es zurück? Ein Seelenheil für sich und alle Nachkommen, ebenfalls auf ewig. Diese Abmachung treffen, vor bald 750 Jahren, ein Ritter und ein paar Mönche in Berlin. Ihr Kloster zum Heiligen Geist betreibt ein Hospital für gestrandete Pilger, für Arme und Kranke. Man braucht Geld. Der Ritter hat Äcker in Weißensee. Das Geschäft geht nun so: Die Pacht aus den Ländereien geht ab dem Jahr 1272 an das Armenhaus. Alle drei Monate lesen die Priester eine Messe für den Ritter. So entsteht die erste Stiftung Berlins.

Sie gibt es sogar bis heute. Nach mehreren Umzügen heißt sie Hospital zum Heiligen Geist und St. Georg und liegt im Wedding, es ist ein Seniorenwohnhaus. „Sorgt für die müden Alten“ steht altertümlich auf einer Hauswand. Über die Jahrhunderte hinweg spendeten Berliner Bürger an die Stiftung. Heute gehören ihr 500 Wohnungen, zu vermieten an Menschen über 60. Das Ziel gilt auf ewig. So will es nämlich auch das heutige Stiftungsgesetz. Der Zweck, den eine Stiftung hat, darf nie verändert werden.

Nichts zu rütteln, und dann noch diese Ewigkeits-Garantie. Das erscheint monumental. Das könnte, sollte man meinen, heutzutage eine Spur zu groß sein, solch ein Versprechen. Wer traut sich das schon? Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Stiftungen sind so stark in Mode wie nie zuvor. Viele Vermögen werden heute geparkt, und zwar auf Dauer, um mit dem, was diese Geldanlage an Erträgen abwirft, Gutes zu tun. Manche tun’s, um sich ein Denkmal zu setzen, um einen Namen zu verewigen. Man braucht einen gemeinnützigen Zweck und genug Kapital, nämlich 50.000 Euro, dann geht das.

Andere Stifter wollen ein bestimmtes Forschungsvorhaben vorantreiben, eine Kunstrichtung. Und wieder andere machen einfach drauf los, ganz so wie damals die Mönche und Schwestern im Hospital zum Heiligen Geist: Decken spenden, ein Bett, ein Essen. Was tut man also, auf die heutige Zeit übertragen? Na, genau das Gleiche. „Eine Decke spenden oder auch ein Bett“, sagt zum Beispiel die sehr resolute Gabi Decker. Sie ist im Hauptberuf Kabarettistin und Sängerin. Mittags von 12 bis 14 Uhr, und zwar eigentlich jeden Tag, ist sie Wohltäterin. Das sind bei ihr die Spenden-Stunden. Sie wirbelt am Telefon, organisiert, hört zu und redet geduldig mit vielen alten Leuten, die sie anrufen. Ihre Gabi-Decker-Stiftung betreibt Soforthilfe für Senioren. Das heißt, Gabi Decker nimmt gut erhaltenen Hausrat an und vermittelt die Dinge an die, die bei ihr um Hilfe bitten.

Einen großen Lagerraum hat sie dafür im Wedding, dort verstaut sie alle Sachen, bis sie gebraucht werden. Nur ein paar Straßen ist das entfernt vom Hospital zum Heiligen Geist, der Uralt-Stiftung, der mit dem Schild „Sorgt für die müden Alten“. Das alte Motto. Heute ist man halt in der Zählung ein paar Tausend Stiftungen weiter. Berlin war einmal Hauptstadt solcher uneigennützigen Einrichtungen, die Stadt der Schenkungen und des Bürgersinns. Im Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit ging viel verloren. Heute hat die Stadt immerhin wieder 850 gemeinnützige Stiftungen, von „Arche Berlin“ bis „Zukunft Berlin“. Von Quartal zu Quartal wächst die Zahl. Eine Stiftung hat immer einen guten Ruf, weil sie unter staatlicher Aufsicht steht. Wer gibt, hat mit ihr ein gutes Image.

Mächtige Förderstiftungen von Unternehmen sind auch in der Liste. Sie agieren selbst wie Großbetriebe. Andere prominente Stiftungen verwalten ein staatliches Erbe: Die Preußische Seehandlung war ursprünglich eine Staatsbank, sie stammt aus der Zeit Friedrichs des Großen. Ihre Stiftung schöpft daraus. Aus dem Stiftungsvermögen gibt es Jahr für Jahr 400.000 Euro für kulturelle Zwecke zu verteilen. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ist auch ein staatliches Erbe, das für die Gemeinschaft bewahrt wird. Nach großen Forschern, Künstlern oder auch Mäzenen der Stadt sind heute Stiftungen benannt. Der größte Wohltäter, den die Stadt je hatte, der jüdische Unternehmer James Simon (1851–1932), hat nun auch seine Stiftung – im Jahr 2006 eingerichtet von wohlhabenden Berlinern. Simon, der zu Lebzeiten sehr, sehr reich war, schenkte den Berliner Museen die Nofretete und das Ischtar-Tor, er ließ Schwimmbäder bauen. Simon stand für einen Gemeinsinn, an den die heute vermögenden Stifter erinnern wollen. Natürlich, ohne Menschen wie Simon wäre Berlin nicht das, was es ist. Einfach etwas geben, nichts dafür verlangen. Sich eindeutig festlegen, dabei bleiben. Von dieser Spezies findet man heute wieder wirklich viele. Ab kommendem Dienstag findet eigens eine Stiftungswoche statt (www.berlinerstiftungswoche.eu), mit einem vollem Veranstaltungskalender bei großen Institutionen, um für bürgerschaftliches Engagement zu werben. Aber auch kleine Stiftungen wollen ihre Türen öffnen.

Die Zupackerin

Ein Hackenporsche, eine Gleitsichtbrille. Das ist heute der Stiftungszweck von Gabi Decker, das ist jetzt gerade das Wichtigste der Welt. Zu klein, zu banal? „Das gibt es nicht, ich bewerte nichts“, sagt die Sängerin, während sie am Schreibtisch in ihrer Wohnung die Telefonnotizen des Tages sortiert und in eine Computerliste überträgt. Wer braucht was? Was haben wir?, steht in dieser Datei. Will eine alte Frau aus Neukölln eben partout diesen Einkaufstrolley, genannt Hackenporsche, dann sorgt die Frau Decker auch dafür. Kleine Dinge, große Idee: Darum kreist ihre Stiftungsarbeit. Sie hat ihre Stiftung vor zwei Jahren gegründet und bisher bestimmt 700 Leuten geholfen. Bei den derzeit Alten und Hochbetagten gelte ja noch, dass sie nicht zum Amt gehen und um Hilfe bitten. Diese Erfahrung hat Gabi Decker schnell gemacht. Wenn sie dann aber helfen dürfe, bei jenen ganz Alten, dann herrsche da wirklich Not. Dann gehe es um Kleinigkeiten. Gut erhaltene Möbel oder auch Röhrenfernseher gingen immer. Sie müssen ganz einfach zu bedienen sein. In den Lagerräumen stehen sie unter Decken, drei große Kästen. Aber im Nu, sagt Gabi Decker, werden sie weg sein. Wenn solche Spenden bei ihr eintrudeln, steht oft „Für die tolle Sache“ auf Zetteln dabei. Genauso wird es bei Spendenüberweisungen als Zweck angegeben. Alle ihre Freunde, sagt die Künstlerin, spenden ihr auch, Ehrensache. Und was gab sie selbst?

75.000 Euro, verrät sie. 50.000 Euro sind das absolute Minimum in Berlin. Die Justizverwaltung ist die Stiftungsaufsicht, sie kann das festlegen. Das Geld kommt auf ein Sperrkonto. Seit einigen Jahren sind Spenden und sogenannte Zustiftungen, also Aufstockungen, steuerlich begünstigt. Das macht es teils lukrativ, wie beim Spenden für Vereine. Immense Erbsummen und Vermögenswerte sind in der Bundesrepublik vorhanden, der Staat hat hier einen Weg geebnet. Gabi Decker denkt da direkter: Hauptsache, die Spenden kommen. Ihr bekannter Name hilft, man vertraut ihrer Stiftung. Die Mundpropaganda von Hausflur zu Hausflur funktioniert. Als sie damals den offiziellen Bescheid für ihre Stiftung vom Finanzamt Schöneberg abholte, erzählt sie, habe sie geheult. Freudentränen vor einer Steuerbehörde – schöne Pointe, Frau Decker. Aber sie meint die Sache ernst.

Versteckte Kunst

Zupacken, alleine machen. So hält es auch Manfred Bartling. Er ist ein versteckter, man könnte sagen scheuer Stifter.

„Haus“, „Kunst“ und „Mitte“ steht außen am Haus, nichts weiter. Ohne Schnörkel, ohne Bohei. Damit ist schon vieles klar. Der Künstler Manfred Bartling, 76 Jahre, macht hier weiter wie immer, stoisch, unbeirrt. Um ihn herum, an der Heidestraße, nördlich des Hauptbahnhofs, wird gerade alles umgepflügt. Gegenüber liegt die Flick Collection des Hamburger Bahnhofs. Ein Contemporary-Art-Campus kommt. Neue Bürohäuser, schicke Häuser zum Wohnen. Mittendrin stehen ein paar Altbauten, die immer schon da waren. Zuvor wirkten sie halb verlassen, jetzt sind sie schwer umtost. In einem der Häuser hegt Bartling seine Kunst. Gerade hat der Mann mit der Schiebermütze 50 Bilder aus dem Depot geholt, viele Grafiken sind darunter. Sie stammen von seinem einstigen Künstlerkollegen Peter Hahn (1936–1989). Bartling hat sie gerahmt, er macht eine neue Ausstellung daraus. 18 Räume hat er, in denen er die Bilder zeigen kann. Was wohin kommt, entscheidet Bartling erst während des Hängens. Sein Konzept ist, alles selbst zu machen. Frei sein. Das Haus ist sein Atelier, Werkstatt und privates Museum zugleich, außerdem „Asyl der Kunst“. So heißt Bartlings Stiftung. Es ist eine Unterkunft für Kunstwerke, die sonst kaum Öffentlichkeit bekommen. Der aus Bremen stammende Bartling sagt: „Die sonst verschütt gehen würden.“

Ein typischer Ein-Mann-Betrieb ist seine Stiftung. Seit 2006 ist Bartling in Berlin. Mit der Stiftung verwaltet er Nachlässe anderer Künstler, zum Beispiel von Peter Hahn, der wie Bartling ein Bremer war. Mal zeigt er andere Künstler, dann zeigt Bartling wieder seine eigenen Kunstwerke. Immer im Wechsel. Am Dienstag um 15 Uhr schließt Bartling unten wieder die Haustür auf. Programmatische Parolen, in der Art von Post-it-Erinnerungen sind an den Wänden auch zu lesen: „Kunst hat keinen Namen“. Oder: „Interessant wie unbekannt“. Wenn Bartling durch die Räume führt, trottet ihm brav sein Begleiter Tao hinterher, ein großer weißer Pudel. Es geht durch eine lange Enfilade von Räumen. Die Werke der jetzigen Ausstellung sind etwas düster, Ton in Ton mit den dunkel gestrichenen Holzdielen. Sie knarzen. Es ist nichts poliert. Kein aufgeregtes Marktgeschrei über Kunst. Einfach nur Kunst. Seine Idee? Am Boden bleiben.

Das Crowd-Stifting

50.000 Euro Kapitalstock? Kein Problem. Gerade einmal acht Tage hat es gedauert, da hatten die Initiatoren vor ein paar Jahren das Geld von Spendern zusammen. Ihre Idee: Eine wirklich freie Büro-Software für alle muss her. Umsonst und dauerhaft unabhängig von großen Unternehmen. So entstand Libre Office, als eine Ausgründung vom bekannten Open Office, dass nämlich schon nicht mehr unabhängig war, weil ein Großkonzern einstieg. Nun also Libre Office. Eine Marke, die mittlerweile millionenfach auf der ganzen Welt genutzt wird, es gibt die Libre-Office-Software schon in 110 Sprachen. Sie dürfte, wie im Internet üblich, längst einen zigfachen, vielleicht astronomisch hohen Wert haben. Der junge Anwalt Michael Schinagl – Büroadresse: Kurfürstendamm, wo deutsche Anwälte gern angloamerikanische Qualifizierungen haben, im internationalen Flair – dieser Jurist Schinagl vertritt das neue Massenmedium. Alles easy: Das Libre-Office-Logo zeigt ein Blatt mit Eselsohr, die Bedienung ist kinderleicht. „The Document Foundation“ heißt die Stiftung offiziell, ihr Sitz ist sozusagen Schinagls Bürocomputer, sein Tablet, sein Smartphone. Das ist die Verbindung zu anderen Freiwilligen in aller Welt, die mit daran arbeiten. Man braucht einen Server, fertig.

Schinagl ist selbst Mitglied im Kuratorium der Stiftung. Eloquent vertritt der Anwalt Schinagl den Freiheitssinn der Netzgemeinde, die alles ganz basisdemokratisch und transparent will. Eine schöne Allianz: Ausgerechnet das urkonservative rechtliche Instrument einer deutschen Stiftung schien der Truppe als das Sicherste. Schinagl konnte viele überzeugen, nur so werde man unangreifbar. „Das ‚german law’ gilt viel in der Welt“, sagt Schinagl. Der Schwarm zog mit, Tausende spendeten jeweils 10, 20 oder 50 Euro. Auch heute ist es so, es geht viel Geld dafür ein, um die Software laufend zu verbessern. Einfluss kann man sich hier aber nicht kaufen. Man darf nur mitarbeiten, so wie Schinagl selbst. Er ist eines von insgesamt 204 Kuratoriumsmitgliedern. Wer aktiv mitwirkt, hat eine Stimme. Daher die hohe Zahl. Sie ist besonders, in Berlin war man tolerant genug, das zu erlauben. Aber es passt: Es ist ja auch eine Stiftung von vielen für viele. Völkerverständigung steckt darin, Bildung und Wissenschaft. Daher ist sie gemeinnützig. „Datenschutz und Verbraucherschutz könnten bald hinzukommen“, orakelt der Anwalt Schinagl, eine neue Dimension. Aber wer, wenn nicht sie als Unabhängige im Internet, könnten das garantieren?

Andenken und Lesen

Begabung ist das eine, Begeisterung das andere. Das eine ist nichts ohne das andere – und das ist jetzt nicht nur eine spitzfindige Nuance. Für Arsène Verny war es auch eine Art Rettung. Die Stiftung, die er und seine Frau für ihren gestorbenen Sohn Valerian gegründet haben, ist eben für Begabte und für Begeisterte gedacht. Für ein hohes Gut, die Literatur. Für ein Lebensmotto. So trägt sie, nach langem Überlegen, den Namen „Literaturstiftung für Kinder und Jugendliche“. Sie soll nicht nur Gute fördern, sondern alle Neugierigen. Ihnen eine Welt eröffnen. Genau das half diesem am Boden zerstörten Vater Arsène Verny, der um seinen toten Sohn trauert. Es sei ein Blick nach vorn, sagt Verny, der Rechtsprofessor. Ein Ideal, so wie man es als junger Mensch hat, mit 19 zum Beispiel. So alt wurde Valerian. Er war so ein Literaturbegeisterter. Ein einziges Mal wollte er S-Bahn-Surfen ausprobieren – es wurde ihm zum Verhängnis. Hunderte Freunde, Bekannte, Kollegen standen nach seinem Unfalltod vor einem Jahr bei der Familie, die Reaktionen waren immens.

Gerade der Vater macht das Andenken öffentlich, das ist sein Weiter-Leben. Er redet, er lädt ein im Namen seines Sohnes, zeigt sofort jedes Bild des hübschen jungen Manns her. Schließlich gab sogar der Stifterverband der Deutschen Wissenschaft, eine Institution, die gewiss nicht emotionsfrei ist, aber doch sehr, sehr rational denkt, ihre Zusage, die Valerian Arsène Verny-Stiftung unter ihrem Dach aufzunehmen. Als Literaturstiftung für junge Menschen. „Da wussten wir, dass wir es richtig machen“, sagt der Vater. Es war wie ein Neuanfang. Der Bedarf für solch ein Engagement ist da. Über den Schmerz eines Verlusts entsteht das Notwendige. Verny, gebürtiger Tscheche und seit Jahrzehnten international tätig, ist stolz darauf, dass die Valerian-Stiftung den Austausch zwischen jungen Deutschen und Tschechen als Ziel trägt.

Die Stiftung als Seelenheil? Ja, wenn er sähe, was er bewegen könne. Sagt der Vater. Mit den gespendeten Geldern lassen sich Kurse für junge Berliner in Rhetorik organisieren, außerdem eine Begegnung junger Leute von Pilsen und Berlin. Weil die Institution einer Stiftung so seriös ist, macht dann zum Beispiel der tschechische Botschafter mit, Anfrage im offiziellen Prag finden Gehör. Ein Literaturprogramm ist aufgelegt, es gibt Lesungen von Jugendbuchautoren, aber genauso geht es um Werke Erwachsener, viel Nachdenkliches, manchmal Humorvolles. Der Tscheche Jaromir Konecny, eigentlich Mathematiker und jetzt Schriftsteller in München, ließ sich auch mitreißen. Er liest Ende dieser Woche, am Freitag, für die Stiftung (im St.-Michaels-Heim, dem ehemaligen Palais Mendelssohn in Grunewald – berlinerstiftungswoche.eu).

Vater von 60.000

Jeden Montag und jeden Donnerstag um 8.30 Uhr geht ein alter Herr, 89 Jahre, schnellen Schrittes ins Klinikum Neukölln. Übers weite Gelände, nach hinten ins Haus 16, vier Treppen hinauf. Dort liegen Räume, nach ihm benannt. Eine kleine, eigene Welt, nicht im typischen Krankenhaus-Weiß, eher bunt, mit vielen Fotos und Erinnerungen an den Wänden, überbordenden Bücherwänden. Das Erich-Saling-Institut ist ja auch ein einziges Andenken – für einen sehr agilen Ur-Vater, den Medizinprofessor Erich Saling. Der selbst leitet alle Geschäfte, zwei Mal die Woche hier, zwei Mal die Woche mitsamt der Sekretärin von zu Hause.

Saling war ein Wegbereiter der modernen Geburtsmedizin, er untersuchte als erster das Ungeborene. Er hat einen Platz auf dem Stammbaum aller berühmten Ärzte dieser Welt. Eine Abbildung dieser Doktoren-Genealogie hängt im Institut – was für eine Frage – auf dem Flur, natürlich. Kommt Erich Saling zum Dienst, betritt er sein Lebenswerk. Seit 1954 ist Saling im Klinikum tätig, über Jahrzehnte als Chefarzt. Über 25 Jahre ist er jetzt aber auch schon im Ruhestand. Seine Arbeitsräume behielt er dennoch. Erst war es ein Verein. Salings großes Thema ist mittlerweile die Vermeidung von Frühgeburten. Mittlerweile gibt es die Saling-Stiftung, das ist sein Erbe für die Medizin. „Es soll weitergehen, auch wenn ich nicht mehr Chef bin“, sagt der 89-Jährige. Also hat er bereits ein Drittel seines Vermögens der Stiftung zugeschrieben, damit sie die Arbeit fortsetzt. Wenn nötig, sagt der Grandseigneur, könnte sie es in einer Etage seines Privathauses im Westend tun und dort hin ziehen. Realistisch schaut Saling darauf. Er wurde einmal als erfolgreicher und bekannter Berliner Frauenarzt der „Vater der 60.000“ genannt, weil mindestens so viele Babys in seiner Zeit als leitender Gynäkologe in Neukölln auf die Welt kamen. Nun ist sein Name sein Baby, um das es geht: Mit dem Namen Saling soll die Früherkennung von Risiken bei Schwangeren verbunden sein, dafür die Stiftung. Dafür eilt er jede Woche in seine Klinik.

Milde im Szenekiez

Die Spree fließt unten, darüber das Kölsch. So geht das in einem fort am Schiffbauerdamm, in der „Ständigen Vertretung“, dem Rheinländerlokal, und in den Nachbarkneipen. Sie sind immer voll, die Einnahmen fließen auch ganz munter. Volle Kraft voraus, immer im Wind. Genauso sieht auch das steinerne Wappen aus, das am Schiffbauerdamm Nummer 8 über der Haustür hängt, wenn man genau hinschaut. Es zeigt unter anderem ein stolzes Segelschiff mit vom Wind geblähtem Tuch. Koepjohann’sche Stiftung steht daneben. Das macht klar, wer Herr im Hause ist, bis heute. Und wohin denn einiges von dem fließt, was umgesetzt wird. Der Stiftung gehören die Bauten an der Ecke, und in der Folge auch noch die ganze Häuserreihe bis zur Albrechtstraße 16.

Solch ein Besitz ist heute ein Hauptgewinn. Er finanziert eine ganze Reihe von sozialen Projekten in diesem Kiez. Und das will etwas heißen. Drumherum liegen in den kleinen Straßen nur noch teuerste Geschäfte, die Büroadressen sind elegant. Neue Nachbarn, die herziehen, zahlen hohe Summen. Mittendrin, im Hof der Albrechtstraße 15, gibt es einen Kieztreff für Mütter und für ältere Menschen. Sozialarbeiterinnen sind im Einsatz, sie besuchen Bedürftige zu Hause – die Stiftung zahlt. Die Arbeit von Ehrenamtlichen koordiniert sie ebenso. In nagelneu hergerichteten Räumen direkt an der Sophienkirche, ein paar Blocks weiter, gibt es nun auch einen Treffpunkt, Gruppen können ihn umsonst nutzen. An die 200.000 Euro kann die Stiftung im Jahr für soziale Arbeit aufwenden, so gut sind die Erträge aus den Vermietungen der Häuser. Mit der evangelischen Gemeinde ist die Stiftung eng verbunden, aber sie gehört ihr nicht. Trotzdem wirkt der mildtätige Geist nach.

Alles geht auf das Testament des Schiffbauers Johann Friedrich Koepjohann zurück. Drei Tage vor seinem Tod schuf er ein Netz zur Unterstützung der Witwen und Waisen. Das war im Jahr 1772. Koepjohanns Frau war schon tot, Kinder hatte er nicht – daher diese Widmung. Seine Werft und die Grundstücke an der Albrechtstraße wurden Gemein-Eigentum für die Armen des Kiezes. Alleinstehende Frauen aus seiner Verwandtschaft wurden mit dem Geld versorgt. Und das – ebenso ein Unikum – hält sogar bis heute an. Es gibt noch Nachfahren der Familie, Koepjohannitinnen genannt. Wer bedürftig ist, meldet sich bei Ute Stefan, der Büroleiterin der Stiftung. Es gibt wirklich, mehr als 200 Jahre nach Stiftungsgründung, immer wieder Überweisungen. Zudem werden die alten Damen im Sommer zu einer Dampferfahrt eingeladen. Wie lange noch? Wie es üblich ist bei Stiftungen. Für alle Zeiten.