Die meisten Mütter haben ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis. Das weiß jeder, der sich schon einmal mit einer unterhalten hat. Der Unterhaltungsfaktor ist dabei nicht immer hoch. „Und dann steckt der Kleine sich immer die ganze Hand voller Sand in den Mund, die sind einfach zu süß in dem Alter!“ oder „Gestern ist etwas total Lustiges passiert, da hat der Leon doch tatsächlich Pupsiezei statt Polizei gesagt“ sind solche Sätze, bei denen Menschen ohne Kinder abschalten und den Gegenüber ungehört weiterreden lassen. Menschen mit Kindern, so wie ich, versuchen zumindest tapfer Interesse vorzutäuschen, denn sie wissen: Genau so bin ich manchmal auch.
Als geduldigeres Medium für Geschichten rund um Kita-Probleme und Kindergebrabbel haben sich Mamablogs etabliert. Online-Tagebücher, in denen sich Mütter jederzeit ungebremst mitteilen können – und nur diejenigen mit ihren Alltagserlebnissen behelligen, die es freiwillig lesen.
Bereits vor über zehn Jahren machten amerikanische Mütter ihre ersten Schritte im World Wide Web, danach stieg die Zahl der „Mummyblogs“ rasant schnell an. 2005 blickte die „New York Times“ noch geringschätzig auf dieses Phänomen und schrieb von „Online-Schreinen wichtigtuerischer Eltern“. Heute macht sich keiner mehr über die bloggenden Mütter und Väter lustig. Inzwischen, so wird geschätzt, gibt es in den USA 3,9 Millionen von ihnen und einige sind reich und berühmt geworden mit ihren Einträgen („Posts“) über das Leben als Mom und Dad.
Von solchen Dimensionen sind wir in Deutschland zwar noch weit entfernt – die Zahl der Väterblogs zum Beispiel ist höchst überschaubar – doch auf der Internetseite der Frauen-Zeitschrift „Brigitte Mom“ findet man inzwischen immerhin eine Sammlung von über 670 Mütterblogs.
„Viele der großen und relevanten Angebote kommen aus Berlin“, meint Isa Grütering von „Hauptstadtmutti“ (www.hauptstadtmutti.de), ein Blog, der seit 2011 inspirierende Streetstyle-Fotos von Frauen zeigt, die es trotz Kindern geschafft haben, etwas anders als das typische Mama-Outfit – Jeans, bequeme Schuhe, Outdoorjacke – aus dem Schrank zu ziehen. Ein „Sartorialist“ für Mütter sozusagen.
Und tatsächlich fallen die Berliner Blogs wie supermom-berlin.de, berlinmittemom.de, kleinstyle.com oder luciemarschall.com in der Masse der Blogs auf. „Veranstalten wir bloggenden Mütter im realen Leben ein Treffen, was regelmäßig passiert, so findet dieses meist in Berlin statt, wo die meisten vor Ort sind“, erzählt Grütering.
Die Auswahl an Blogs ist groß, die Qualität so unterschiedlich wie die Launen eines Dreijährigen. Manche der Online-Tagebücher beschreiben den Alltag mit Kindern nicht interessanter als die Kollegin beim Mittagessen in der Kantine. Trotzdem finden fast alle die Leserschaft. Wahrscheinlich funktionieren Blogs wie Seifenopern – wenn man einmal angefangen hat hinzuschauen, dann muss man wissen, wie es mit den Protagonisten weitergeht.
Dabei legen einige der bloggenden Mamas ihr Augenmerk auf das Familienleben, die anderen auf ihre Metamorphose von der kinderlosen Frau, die sich sonntagmittags um ihren Hangover kümmern musste, zur Frau mit Kind, die es samstagabends vor Erschöpfung nicht mal mehr bis in eine Bar schafft. Viele sind spaßig (z.B. supermom-berlin.de), manche nachdenklich (z.B. berlinmittemom.com), einige praktisch (www.m-i-ma.com). Einen ausgefallenen Ansatz verfolgt stadt-land-mama.de: Hier trifft eine Mutter vom Lande auf eine Mutter aus Prenzlauer Berg.
Wer sich Sorgen macht, er könnte mit der Plazenta auch seinen guten Stil verloren haben, der bekommt jede Menge Kaufanreize und Inspirationen bei Blogs wie butterflyfish.de – „über schönes Design für Kinder und (werdende) Eltern ohne Rüschen und Bärchen!“ oder citymum.de aus Hamburg: „The lifestyleblog for busy mums“.
Es gibt Online-Tagebücher von und für werdende Mütter, frisch gebackene Mütter, spät gebärende Mütter, bastelnde und handarbeitende Mütter, Vollzeit-Mütter und Mütter mit Vollzeit-Job, allein erziehende Mütter, Zwillingsmütter oder auch feministische Mütter, in denen ein Post schon mal „Piss auf Muttertag“ heißt.
Besonders anfällig für Internetsucht
So unterschiedlich das Angebot ist, eins haben wohl fast alle Blogs gemeinsam. Die Frau dahinter sucht ein Netzwerk. „Als Mutter braucht man Gleichgesinnte. Das kann entweder eine Freundin sein, die in der gleichen Situation steckt (...), die eigene Mutter oder Schwester“, schreibt die Berlinerin Frau Mutter (frau-mutter.com): „Meine Familie wohnt 600 Kilometer entfernt, meine beste Freundin am anderen Ende der Stadt. Was ein Glück habe ich meinen Mama-Blog gestartet.“ Und so stammen die Kommentare zu den Posts auch häufig von anderen Mütterbloggern. Die Community hilft sich, interviewt einander, verlinkt auf die Seite des anderen und lädt sich gegenseitig zu Gastbeiträgen ein.
„Durchs Bloggen habe ich tolle Frauen mit Kindern kennengelernt, denen ich im wahren Leben wohl nie begegnet wäre“, sagt Tanya Neufeldt. Für ihren selbstironischen Blog „Lucie Marshall – how my boobs became food“ (luciemarshall.com) hat die Schauspielerin, Mutter eines dreijährigen Sohnes, die halbfiktive Figur Lucie Marshall entwickelt, die natürlich Mutter eines dreijährigen Sohnes ist. „Früher sind Mütter zum Handarbeiten in der Küche zusammengekommen, heute tauschen sie sich über Blogs aus“, vergleicht sie. Über das Internet treffe man sich – fast täglich – muntere sich auf und spende, wenn nötig, einander auch mal Trost.
Denn auch wenn oft versucht wird, als Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs möglichst lustig und unterhaltsam über das neue, fremdbestimmte und chaotische Dasein zu berichten, ist Einsamkeit und Überforderung in den Blogs zumindest unterschwellig ein Dauerthema: „Die letzten beiden Monate waren hart für mich. Mein Mann war sehr viel unterwegs und kam mehrmals die Woche erst um 22 Uhr nach Hause. Bei einem 30-Stunden-Job, einem Vier-Personen-Haushalt und zwei Kindern ist das ganz schön viel auf einmal, wenn alles auf einer Person lastet “, schreibt die Autorin von „Mein Zwillinge-Blog“. Solche Einträge sollten zu denken geben: Können nicht auch Väter beruflich kürzer treten? Wo sind die Freunde, die Familie dieser Frau?
„Hausfrauen gehören, wenn sie mit kleinen Kindern ans Haus gebunden sind, zur Risikogruppe für die Internetsucht“, schreibt die Zeitschrift „Emma“. Denn auch wenn Mütter ja bekanntlich im Dauerstress sind: Zeit um den Rechner aufzuklappen, eine Runde zu surfen und etwas ins Online-Tagebuch zu schreiben, findet sich irgendwie immer. Während die Kleinen in der Kita sind, ihr Mittagsschläfchen halten oder notfalls auch während das Baby auf dem Schoß sitzt.
Doch warum bloggen gerade die Hauptstadtmütter so häufig? Eine Vermutung: Weil es in Berlin besonders viele Frauen gibt, die freiberuflich im Medienbereich arbeiten. Sie kennen sich mit Internet gut aus und gehen nach der Elternzeit nicht einfach wieder zurück in ihre Festanstellung. In der Elternzeit stellen sie also selbstständig und selbstbestimmt im Netz etwas auf die Beine. Ein Blog kostet nichts, um ihn zu schreiben, muss man nicht mal das Haus verlassen. Und die Zeit ist gut investiert: „Bei den Müttern liegt so viel Kreativität brach, weil wir oft nicht einfach zurückkönnen in unsere Jobs“, sagt Tanya Neufeldt alias Lucie Marshall. Nach der Elternzeit müssen viele sich umorientieren. Als Schauspielerin ging es ihr genauso.
Blogs können da eine neue Einnahmequelle sein. „Zwei Jahre nachdem wir mit unserem Blog gestartet sind, können wir jetzt ein wenig Geld aus unserer Arbeit ziehen“, sagt Isa Grütering über Hauptstadtmutti.de. Nachdem zunächst nur die Fotos stilsicherer Mütter mit kurzen Texten über sie und ihr Outfit gepostet wurden, verlinkt man inzwischen direkt auf einen passenden Online-Shop, was den Blogbetreibern Prozente einbringt. Ungefähr zwei Tage pro Woche arbeitet Isa Grütering für ihren Internetauftritt, die restlichen drei Tage frei als Marketingmanagerin. In den letzten Monaten schrieb sie unter anderem an einem Buchprojekt: „Mama muss die Welt retten: Wie Mütter vom Wickeltisch aus Karriere machen“, das im September erscheint und auch ihre eigene berufliche Geschichte erzählt.
Immer mehr Angebote der Werbeindustrie
Bloggende Mamas und ihre Leser werden aber nicht nur von Verlagen, sondern auch von der Werbeindustrie immer heftiger umgarnt. Denn ihr Einfluss bei den zahlungskräftigen Eltern, die nur das Beste für ihr Kind wollen, wächst Tag für Tag. „Ich werde mit Angeboten von Firmen zugeworfen“, sagt beispielsweise Tanya Neufeldt. Sie soll testen und darüber in ihrem Blog berichten. Noch schalten Unternehmen auf deutschen Mütterblogs allerdings selten Anzeigen. Die Autorinnen werden wohl überwiegend in Naturalien bezahlt. So schreibt eine Bloggerin auf ihrer Seite, dass sie gerade zum Event eines Kinderwagenherstellers eingeladen war – diesen nun selbst besitze und ihn auch voller Überzeugung empfehlen möchte.
Tanya Neufeldts Blog hat inzwischen Karriere gemacht: Ein Verlag möchte ein Buch nun zu Lucie Marshall herausbringen, einige ihrer Posts erscheinen als Kolumne in der Taz und eine Webserie soll es auch geben. Der Pilot ist bereits abgedreht. Womit Tanya Neufeldt dann vielleicht bald wieder als Schauspielerin arbeiten wird. Ein erfolgreicher Wiedereinstieg ins Berufsleben – selbst erbloggt.