Berliner Merkwürdigkeit

Das Hotel mit nur einer Matratze

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Sonja Vukovic

Mit ein bisschen Glück kann man wildfremde Menschen beim Schlafen beobachten, wenn man zu später Stunde an der Torstraße 170 vorbei läuft. Zwischen Acker- und Kleiner Hamburger Straße, unauffällig neben ein paar Cafés und kleinen Supermärkten, liegt hier hinter einem großen Galeriefenster das "Hotel Minimal".

Wie der Name schon sagt: es ist nicht groß. Und es gibt dort auch nicht viel, nur eine Matratze mit Decke und Kissen auf einem rund 25 Quadratmeter großen Steinboden vor der Glasfront.

Die Intimität eines Schlafzimmers auf der einen und die Öffentlichkeit der Straße auf der anderen Seite der Scheibe. Jeder Gast des "Hotel Minimal" entscheidet selbst, ob er die Vorhänge schließt oder offen lässt über Nacht. Viele mögen es offenbar tatsächlich, sich schlafend zur Schau zu stellen. Die Pension ist auch eine Installation, ein Projekt von Lisa Kadel und Kristina Herresthal, die mit ihrem Büro "Linie Architektur" verschiedene Räume einrichten und inszenieren. Beide haben schon in New York gearbeitet und sich unter anderem "damit beschäftigt, was man in einem Raum alles braucht, um Leben zu können", erzählt Herresthal.

Zurück in Berlin, hätten sie den Umstand genutzt, dass sie die Eigentümer der Galerie "Sur La Montagne" in der Torstraße 170 kennen und dass es dort Leerstand gab, um ihre Idee vom minimalen Lebensraum umzusetzen, zunächst nur für drei Wochen. Bei der ersten Eröffnung im Juni 2010 gab es außer der mit einem schwarz-weiß karierten Bettbezug bezogenen Pritsche nur eine von der etwa 4 Meter hohen Stuckdecke hängende Glühbirne. Das Atelier hat eine Toilette, aber keine Dusche. "Deshalb bleiben die meisten auch nur eine Nacht", sagt Herresthal. Nur ein Mann habe das Zimmer eine ganze Woche angemietet. "Zum Duschen ist er in das Schwimmbad in der Gartenstraße gegangen."

30 Euro kostet das minimale Vergnügen in der spärlich eingerichteten Pension in Mitte. Wer fünf Euro mehr zahlt, bekommt morgens ein Frühstück in einem Plastikbeutel vor der Tür abgestellt. "Der Gast sagt uns, was er möchte, wir holen das dann und bringen es vorbei. Allerdings nur, wenn es sich um einfache Dinge wie Croissants oder Joghurts handelt. Wer Omelette und Kaviar möchte, ist bei uns falsch", sagt Herresthal. Von Anfang an gab es große Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten im "Hotel Minimal". "Im November vergangenen Jahres haben wir das 'Hotel Minimal' also erneut aufgebaut und seither immer mal wieder für ein paar Wochen, wenn die Räume leer sind."

Das Besondere am "Hotel Minimal": Hier zahlt der Zuschauer kein Geld und er wird zufällig zum Beobachter. Passanten halten oft irritiert an, gucken durch das Fenster, manche klingeln und erkundigen sich, was es hier gibt. Selbst für Berliner Verhältnisse ist die Intimität eines Schlafplatzes, so öffentlich zur Schau gestellt, noch nicht gewöhnlich.

Spannung bauen Herresthal und Kadel, beide 33 Jahre alt, auch für den zufälligen Betrachter auf. Sie verstärken den Effekt der Verstörung beim Vorbeilaufen an der Galerie weiter, indem sie kleine Accessoires neben der Matratze drapieren, die anmuten, als sei gegenwärtig jemand in dem Raum, selbst wenn gerade niemand da ist.

Unter dem Motto "Sous le soleil" - zu Deutsch: Unter der Sonne - liegen zurzeit Zitronen und eine Tasche mit Sonnenmilch auf dem Boden, ein Buch mit französischen Chansontexten und an den Wänden hängen Tücher und ein Bikini an einer gespannten Leine. Ein simples Spiel mit menschlichen Instinkten. "Wir ziehen auch die Vorhänge so zusammen, dass nur ein breiter Spalt bleibt, durch den man die Matratze auf dem Boden sieht. Das animiert die Leute meist noch mehr, stehen zu bleiben und reinzugucken, als wenn die Vorhänge weit aufgerissen wären und man alles gleich sieht, was drin ist in dem Raum", sagt Herrestahl. Demnächst wollen die beiden Architektinnen auch ein "Restaurant Minimal" in Berlin eröffnen.