Berliner Merkwürdigkeit

Wer ist eigentlich dieser Bolle?

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Christoph Wenzel

Es ist Pfingsten oder anders gesagt: Es ist Bolle-Zeit. Schließlich kennen viele "Bolle reiste jüngst zu Pfingsten", eines der bekanntesten Volkslieder aus dem Berliner Raum. Es beschreibt ein Stück Arbeiterwelt des 19. Jahrhunderts, den Ausflug an einem Feiertag raus ins Grüne vor die Tore der damaligen Stadt.

Nach Pankow in die Schönholzer Heide zog es ihn, den feierfreudigen, trinkfesten, rauflustigen Bolle, der sich dort ganz köstlich amüsierte. Aber wer ist eigentlich dieser Bolle?

Die Suche nach diesem Synonym für Berlin ist schwierig. Im Telefonverzeichnis gibt es rund 50 Bolles. Und dann ist da ja noch die Sache mit dem Bolle-Supermarkt. Bis in die 80er-Jahre war Bolle in guter Gesellschaft. Da hatte er 120 Vettern. Heute gibt es nur noch drei Bolle-Märkte in Berlin. Sie sind die letzten, nachdem der Metro-Konzern erst die Rechte an der schwächelnden Marke übernommen und sie dann an Rewe weitergegeben hatte. Im vergangenen Jahr verschwanden die meisten der wenigen Geschäfte mit dem berühmten Namen. Nur in Kladow, Staaken und Spandau überlebte Bolle.

"Bolle ist eine Traditionsfirma", sagt Geschäftsführer Holger Gaul (53). "Und Bolle gehört einfach zu Berlin." Die Supermärkte gehen zurück auf Carl Andreas Julius Bolle, der ab 1881 die Milch aus seiner Meierei in Moabit durch Verkäufer mit Handglocken verkaufen ließ. Daher wurde er bekannt als der "Bimmel-Bolle": Die Verkäufer fuhren mit ihren Milchwagen, den "Bolle-Wagen", durch die Straßen und bimmelten dazu mit ihren Handglocken. Bolle war mit seiner Meierei so erfolgreich, dass er von den anfänglich drei Milchwagen bis 1910 sogar 250 in Betrieb hatte. Der Verkäufer mit der Handglocke ist bis heute das Logo der Supermärkte. "Bimmel-Bolle" gilt daher vielen als der Berliner Bolle schlechthin. Doch er ist nicht der Bolle aus dem Volkslied: Musikwissenschaftler halten das Lied für älter als den berühmten Kaufmann. Bekannt ist das eher weniger. "Die Kunden sprechen mich auf Carl Julius Bolle an und auch auf den Bolle, der zu Pfingsten reiste", sagt Supermarkt-Chef Gaul.

Der 49-jährige Andreas Bolle hingegen weiß um den Unterschied zwischen seinen Namensvettern. Selbst wenn der Bolle von einst eher der proletarische Typ war - sein moderner Namensvetter, der Filmproduzent in Schmargendorf ist, findet: ",Hat sich ganz köstlich amüsiert' sollte für einen Bolle schon das Lebensmotto sein." Der Name habe etwas Fröhliches. "Er löst immer eine gewisse Heiterkeit aus. Und man kann ihn sich gut merken." Und so heißt Bolles Fima "Bollemedia" und wohl nicht zufällig gibt es etwa auch die "Pension Bolle" oder die Lackiererei "Mit Beule zu Bolle". Die modernen Bolles sind auch Ingenieure und Kaufmänner oder sogar Professoren. Deren Erfahrungen mit ihrem Namen: positiv. Der einzige Nachteil: Man werde eben oft beim Nachnamen gerufen, sagt Andreas Bolle. "Bolle kommt einfach gut über die Lippen. Auch als Kosename."

Doch woher kommt nun der Name wirklich? Zum einen ist da die in Berlin geläufige Deutung, dass der Name vom altdeutschen Wort für Zwiebel kommt, wie es etwa die Gebrüder Grimm schon in ihrem Deutschen Wörterbuch festgehalten haben. Die zweite Erklärung hat ihren Ursprung in Norddeutschland. "Bolle ist eine Kurzform für Namen, die mit 'Bold' beginnen", sagt Gabriele Rodriguez, Sprachwissenschaftlerin an der Universität Leipzig. So gab es etwa den Namen Boldewin, der sich 1258 in Rostock nachweisen ließ und mit dem heutigen Balduin verwandt ist. Die "Bold"-Namen gehen auf das Germanische zurück und bedeuten etwa "der Tapfere, der Kühne". Ein Name wie geschaffen für den Bolle, der zu Pfingsten reiste und sich "mittenmang" in die Keilerei in der Schönholzer Heide warf.

Doch egal ob es nun "die Zwiebel" oder "der Tapfere" ist: "Den Namen Bolle verbindet man immer mit Berlin", sagt Andreas Bolle, der lange auch in Köln, München und Hamburg gelebt hat. Und die Bolle-Berlin-Verbindung gibt es zurecht. Zwar kommt der Name in einem Streifen zwischen dem westlichen Münsterland über Hannover bis in die Uckermark vor. Doch die meisten Bolles gibt es in - Berlin.