Interview

Charlottenburg ist das Italien Berlins

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Ein Berlin in den Grenzen von 1998 fordern Horst Evers und Benedikt Eichhorn. Sind die beiden Revanchisten? Nein, Kabarettisten. Vor mehr als zehn Jahren entdeckten sie die Unterschiedlichkeiten von Mitte, Wilmersdorf, Wedding und allen anderen Berliner Bezirken.

Durch die Bezirksreform wurde ihrer Ansicht nach zusammengelegt, was nicht zusammengehört. Evers und Eichhorn treten vom 14. bis 18. Oktober im BKA-Theater in Kreuzberg auf.

Berliner Illustrirte Zeitung: Wo kommen Sie beide eigentlich her?

Eichhorn: Ich aus einer Kleinstadt im Münsterland, die heißt Coesfeld.

Evers: Ich komme aus Diepholz, einem kleinen Ort in Niedersachsen nördlich von Osnabrück.

Eichhorn: Also auch ein Provinz-Ei.

Evers: Aber hallo.

Berliner Illustrirte Zeitung: Was war Ihre erste Begegnung mit der Berliner Art?

Evers: Das war die sogenannte Schrippenpredigt. Als ich das erste Mal in eine Bäckerei gegangen bin, Brötchen gekauft habe und belehrt wurde, dass das Schrippe heißt. Und das in einer strengen Form, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann. Das war in den achtziger Jahren. So würde es heute nicht mehr passieren. Jedenfalls hat sich die Frau damals geweigert, mir Brötchen zu verkaufen, bevor ich nicht weiß, dass es Schrippen heißt. Und dann dauerte es noch vier Jahre bis ich in dieser Bäckerei nicht mehr gesiezt wurde.

Berliner Illustrirte Zeitung: Sie haben sich alle ehemaligen 23 Bezirke angeschaut. Wie haben Sie das gemacht?

Evers: Ich habe erst mal ein sehr gutes Basiswissen, dadurch dass ich Taxi gefahren bin, dann war ich Eilzusteller bei der Post und Briefkastenleerer. Dadurch bin ich kreuz und quer in der Stadt rumgekommen. Ich glaube, ich gehöre zu den wenigen Menschen in Berlin, die mehr oder weniger die ganze Stadt kennen. Viele eingeborene Berliner haben mir gestanden, sie waren noch nie in Spandau. andere haben mich gefragt: Wie ist eigentlich Mariendorf? Lohnt es sich, da einmal hinzufahren?

Eichhorn: Warst du wirklich überall? Auch in Buch?

Evers: Ja, als Eilzusteller. Buch war eine der letzten Ecken Berlins, die Telefon bekommen haben, da gab es oft Telegramme.

Berliner Illustrirte Zeitung: Was ist Berlin?

Evers: Die wahrscheinlich momentan gelassenste Stadt der Welt. Auf der einen Seite ist sie sehr offen. Auf der anderen Seite, dies klassische Berlin, das findet man eher in den Ecken, die sich nicht so schnell verändern wie Köpenick. Es gibt das sehr dynamische Berlin im Zentrum, Prenzlauer Berg ist fertig, da passiert nichts mehr. Praktisch wohnt da nur eine Generation. Der Bezirk ist sozusagen an die Leute verkauft, das ist mehr oder weniger abgeschlossen. Und jetzt geht die Wanderung weiter nach Friedrichshain, Kreuzberg, Schöneberg.

Berliner Illustrirte Zeitung: Noch bewegt sich die Szene ja in Friedrichshain.

Evers: Ja, da darf jeder so sein wie er will, solange er nur so ist wie all die anderen.

Berliner Illustrirte Zeitung: Wie ist der Lichtenberger?

Evers: Das ist der übrig gebliebene Ostler.

Eichhorn: Der vom Kapitalismus Heruntergefallene?

Evers: Der Angeschissene. Der das auch selbst so sieht.

Berliner Illustrirte Zeitung: Und Wilmersdorf?

Evers: Da weiß man nie genau: Wo geht das los, wo hört das auf? Ich kenne jemanden, der seit zwei Jahren in Wilmersdorf wohnt und immer behauptet hat, er wohnt in Charlottenburg. Erst bei der Bundestagswahl hat er festgestellt, dass er tatsächlich in Wilmersdorf wohnt.

Eichhorn: Mir ist nie klar geworden, wo die Grenze zu Charlottenburg ist.

Evers: Charlottenburg ist für mich übrigens das Italien Berlins.

Eichhorn: Das ist das Mailand. Aber das vitale Strand- und Party-Italien, das ist Friedrichshain.

Berliner Illustrirte Zeitung: Was ist mit Mitte?

Evers: Ach Mitte, das hat man damals mit Wedding zusammengelegt. In der Hoffnung, dass die Bezirke voneinander profitieren können. Es wird aber noch sehr lange dauern bis Mitte so ist wie der Wedding.

Berliner Illustrirte Zeitung: Ist das Berlinische erotisch?

Eichhorn: Wenn es prollig daherkommt nicht.

Evers: Mhm. Das hängt natürlich immer ganz von dem Moment ab.

Eichhorn: ... ick berlinere und verdopple meine Wirkung.

Evers: Es kann das Erotische unterstützen. Aber nur durch ein berlinerisches Auftreten zu hoffen, eine erotische Wirkung zu erzielen, da erhofft man sich zu viel.

Berliner Illustrirte Zeitung: Ist der Berliner Ton liebevoll?

Eichhorn: Nicht unbedingt. Die Sprachmelodie des Berlinerischen wirkt auf Neuankömmlinge hingerotzt, flapsig, frech, anmachend. Wenn einem Touristen in der Schlange im Supermarkt was aus der Tasche fällt, sagt der Zugezogene: Entschuldigung, Ihnen ist was aus der Tasche gefallen. Der Berliner sagt: Hey, soll dit hier lie'n bleim?

Berliner Illustrirte Zeitung: Gefällt Ihnen das?

Eichhorn: Sehr. Das ist eine Lockerheit. Das ist eine Bereitschaft zu leichter Provokation. Es gibt andere Gegenden, da sind alle immer nett. Das kann einem auch auf den Geist gehen. In Berlin hat man mehr Lust auf eine kleine Frechheit.

Berliner Illustrirte Zeitung: Ein schönes Schlusswort?

Eichhorn: Jetzt haben wir gar nicht über Sarrazin gesprochen.

Evers: Das ist auch gut so.

( Das Gespräch führte Jan Draeger )