Berliner Merkwürdigkeit

Die Bären-Nummer

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Jörg Niendorf

"Land der Frühaufsteher", "Willkommen im Schlemmerland", "Wir machen's einfach". Am Randstreifen der Autobahn tragen die deutschen Bundesländer ganz schön dick auf. Auf drei mal zwei Meter großen Werbebannern preisen sie sich an, sobald man über ihre Grenze rauscht.

In Bremen heißt ein kariertes Papierschiffchen die Autofahrer willkommen, in Hamburg ein überdimensionales Stadttor, und der restliche Norden grüßt als "Festspiel-", "Wirtschafts-" oder "Wissenschaftsland". Nur Berlin spart sich diesen flotten Zauber: Nirgends ein Eigenlob an der Leitplanke zu finden. Selbst die braunen touristischen Hinweistafeln, die sonst landauf landab alle paar Kilometer an Autobahnen prangen, sucht man vergeblich. Dafür gibt es hier noch einen außergewöhnlichen Schnellstraßenschmuck: Skulpturen auf dem Mittelstreifen. Das ist ziemlich einmalig.

Drei Bären stehen an Berliner Autobahnen, jeweils genau an der Landesgrenze. Ein tierischer Empfang: einmal im Westen, im Norden und im Süden. Die einen Meter und sechzig hohen Tierplastiken dürfen sogar zwischen den Mittelleitplanken stehen. Und nur die dürfen das. Anderes Getier, anderer Bauschmuck oder gar ablenkende Werbung hat eben nichts am unmittelbaren Autobahnrand zu suchen, so sehen es die Gesetze des Bundes vor. Am bekanntesten ist der Bär auf der Avus in Dreilinden. Er streckt den Reisenden seine Vordertatzen entgegen. Forsch, aber freundlich, denkt man sich im Vorbeirauschen. Schon seit 1957 steht die Bronzeplastik an dieser Stelle, der früheren Sektorengrenze. Die Künstlerin Renée Sintenis hat den Bären geschaffen. Kleine Abgüsse dieses berühmten Modells werden bis heute jedes Jahr gegossen und als Goldene und Silberne Bären bei der Berlinale vergeben. Seit dem vergangenen Jahr steht dieser Sintenis-Bär auch an der Autobahn in Schönefeld, wenn man vom Flughafen aus nach Berlin hineinfährt.

"Wir haben einen neuen Guss der großen Plastik von 1957 gemacht", sagt Hermann Noack, Seniorchef der Bildgießerei Noack. Die Straßenplaner wollten genau diesen Bären wieder als Kunst am Bau installieren. Pragmatisch, kostenbewusst und stiltreu. Wenn man sich schließlich solch eine Mittelstreifen-Marotte erlauben darf, dann sollte man sie auch pflegen. Und dieses Mal durften die Straßenbauer auch den Sintenis-Bären wieder verwenden, weil die Rechte für das Kunstwerk mittlerweile bei der Nationalgalerie lägen und somit geklärt seien, sagt Noack.

Das war nicht immer so. 1983 wollte die Senatsverkehrsverwaltung diese Skulptur zum Beispiel auch am innerdeutschen Grenzübergang in Heiligensee aufstellen lassen, als die Autobahn nach Hamburg fertig gestellt war. "Allerdings konnten wir da den Bären aus rechtlichen Gründen nicht nehmen", sagt Herbert Liman, damals Abteilungsleiter der Behörde. Grund sollen Streitigkeiten über das Urheberrecht mit der Familie Sintenis gewesen sein. Also beauftragte er den Bildhauer Günter Anlauf mit einem neuen Entwurf. Anlauf schuf an der Stadtgrenze im Norden einen Konterpart zum strammen, klassisch-modernen Avus-Bären. Dort oben sitzt das Tier lässig auf seinem Sockel und grinst die Autofahrer an. Willkommen im freien West-Berlin, hieß das. Solch ein zahmes Hohnlächeln durfte der 50er-Jahre-Bär freilich nicht zur Schau tragen, die Zeiten waren rau. Damals entstand die Bärenplastik der Schöneberger Künstlerin Sintenis im Rahmen einer bundesweiten Unterstützungskampagne für West-Berlin in den Jahren nach der Blockade. Ein früherer Entwurf der Akademie-Bildhauerin war davor auch schon dafür verwendet worden, nämlich bereits seit 1954.

Der hatte noch mehr Biss und schaute grimmiger. Mit ihm wurden Reliefsteine gefertigt und an westdeutschen Autobahnen aufgestellt, die eine Kilometerangabe bis zum Berliner Zentrum anzeigten. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Verleger der "Zeit", Gerd Bucerius, war in jenen Jahren Beauftragter für die Wirtschaft West-Berlins. So wollte er die Situation der Stadt in Erinnerung rufen. Einige Brücken aus den dreißigen Jahren hatten ihn auf diese Idee gebracht. Auf diesen "Torbrücken" kurz vor dem Berliner Ring waren nämlich auch jeweils ein Bär und die Entfernung bis in die Hauptstadt eingemeißelt.

Bis nach Zürich gelangten nach 1954 die Reliefsteine mit dem älteren Sintenis-Bären, er wurde oft kopiert. Einige stehen noch, aber mittlerweile neben der Autobahn. Die große, auch im Ausdruck noch stolzere Tierplastik von 1957 gibt es dagegen nur sechs Mal, berichtet Hermann Noack. Als politischer Begrüßungsbär kam er auf die Avus, und drei Jahre später auf die Autobahn in München-Freimann, wo er bis heute steht und die Entfernung nach Berlin anzeigt. Das ist der einzige echte Leitplankenbär außerhalb Berlins. 1962 wurde eine weitere Kopie in Düsseldorf aufgestellt, allerdings nicht auf der Autobahn, sondern in der Innenstadt. "Zwei Abgüsse sind dann noch nach Amerika gegangen", sagt Noack, "und 2008 eben jener nach Schönefeld."

Das Modell des Bären lagert unterdessen schon wieder in der Staatlichen Gipsformerei. Eine weitere Plastik ist nicht bestellt, Pläne für Pankow gibt es offenbar keine. Dort läge schließlich ein weiterer Ort für eine Leitplanken-Skulptur. Denn das ist letzte bisher bärenfreie Autobahnschneise, die in die Stadt führt.