Oderberger Straße wird saniert

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Christine Eichelmann

Streitkultur hat Tradition in der Oderberger Straße. Zu DDR-Zeiten, als Künstler und Oppositionelle den Kiez bevölkerten, ging es gegen den Abriss der Gründerzeithäuser zugunsten moderner Plattenbauten, nach der Wende um ein sozialverträgliches Mietniveau.

Pankow Streitkultur hat Tradition in der Oderberger Straße. Zu DDR-Zeiten, als Künstler und Oppositionelle den Kiez bevölkerten, ging es gegen den Abriss der Gründerzeithäuser zugunsten moderner Plattenbauten, nach der Wende um ein sozialverträgliches Mietniveau. Jetzt ist der Geist des Protests wieder erwacht. Junge Nachwende-Zuzügler, Familien und Gewerbetreibende wehren sich gegen Pläne des Pankower Bezirksamtes, ab 2009 die Straße umfassend zu sanieren. Ihre Sorge: Das besondere Flair mit Szeneläden, Cafés und viel Grün würde die Anpassung an Bauordnungsnormen nicht überleben.

Ja, es sei lauschig in der Oderberger, sagt Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Die Grünen). Was die öffentliche Ordnung angehe, "da allerdings ist dringender Handlungsbedarf". Öffentliche Ordnung ist das, wofür Kirchner im Bezirk zuständig ist, und die kennt keinen Wildwuchs wie an der Szenemeile im Prenzlauer Berg. Von Schlaglöchern, Sprüngen und Stolperfallen im Pflaster ganz zu schweigen. "Die Bodenverhältnisse sind schon so, dass man nachts nicht ohne Taschenlampe laufen sollte", sagt Michael Wäser, der dennoch gern in die Restaurants und Kneipen geht.

Rund 50 Kübel und Töpfe

Diese sind zahlreich, und noch zahlreicher die Blumenkübel und Pflanzkästen, mit denen Gastronomen und Ladenbesitzer seit inzwischen 15 Jahren die gut zehn Meter breiten Bürgersteige begrünen. 162 dauerhafte Anlagen und mehr als 49 Kübel und Töpfe zählen Anwohner zwischen Choriner und Bernauer Straße. Er könne nicht verstehen, wieso diese mit so viel Liebe gestalteten Grüninseln weg sollen, sagt Thomas Kantschew aus der benachbarten Kastanienallee und spricht damit laut einer Umfrage für 58 Prozent der Oderberger Anwohner. "Hieraus jetzt eine geleckte Schickimicki-Straße zu machen, die Kreativität wegzubügeln, ist Frevel und Verschwendung obendrein", meint der 43jährige Web-Designer.

"Manche der Hochbeete sind aus Eisenbahnschwellen gezimmert, und das ist das Giftigste, was man sich vorstellen kann. Eine Umweltsünde", schimpft dagegen der grüne Stadtrat. Dabei wolle er sich mit der blühenden Eigeninitiative durchaus arrangieren: Für die Zeit der Bauarbeiten müsse das Grün weg, was nicht heiße, dass es auf lange Sicht vernichtet werden solle. Sein Tiefbauamtsleiter zieht dennoch viel Wut auf sich, als er erklärt, 90 Prozent des Wildwuchses hätten wohl kaum eine Chance auf Erhalt.

Einige Wochen später schlagen die Wogen hoch. In den Geschäften liegen Unterschriftenlisten gegen die Sanierung aus. Platanen und Rotdorn am Straßenrand tragen Trauerflor. Schönsanieren sei wie totsanieren, meint Kathrin Bub, seit acht Jahre an der Oderberger. Gerade das Unperfekte mache die Atmosphäre aus und ziehe die Touristen an, so die 34-Jährige. Selbst die Betonlaternen aus DDR-Zeiten seien "einfach authentisch".

Was bisher gereicht habe, werde auch weiter reichen, findet sogar das Rentnerehepaar Zauter, "zu Besuch" aus Tempelhof. Mittlerweile scheint der Streit konstruktiver geführt zu werden. Seit sich Mitte September die "Bürgerinitiative Oderberger Straße" (Bios) gründete, reden beide Seiten wieder sachlich miteinander. Auf einer Sitzung des Ausschusses für öffentliche Ordnung und Verkehr der Bezirksverordnetenversammlung in der zweiten Oktoberwoche wurde die 2,5 Millionen Euro teure Sanierungsplanung zunächst einkassiert. Gemeinsam mit den Anwohnern soll sie nun überarbeitet werden. Dabei wird es vor allem darum gehen, möglichst vielen Wünschen gerecht zu werden.

Auch die Anwohner selbst seien in ihren Ansprüchen manchmal schizophren, weiß Bios-Sprecher Oskar Neumann. Er ist in der Oderberger aufgewachsen, lief als Jugendlicher bei den Anwohner-Protesten gegen die Baupolitik der DDR mit. "Wir sind jetzt die nächste Generation", sagt er.

Berend Waterham, bei Bios für das Gewerbe zuständig, fordert vor allem eine geschäftsverträgliche Bauplanung. Gut 36 000 Euro Tagesumsatz erwirtschaften die insgesamt 59 Gewerbe in der Straße. Von derzeit 323 Arbeitsplätzen, davon 211 in der Gastronomie, seien "im allerschlimmsten Fall 200 bedroht", so Waterham.

Ein Jahr Bauarbeiten vor ihrem Restaurant könne sie nicht überstehen, sagt Annie Rott vom "Hüftengold", dessen Außenterrasse besonders liebevoll umpflanzt ist. Gerade um die Schankvorgärten dürfte noch heftig gerungen werden. Die, so Stadtrat Kirchner, hätten sich in den letzten Jahren "enorm breit gemacht". Kompromisse will er trotzdem suchen. Nur eines kann Kirchner nicht verstehen: "Hier heißt es immer, alles soll so bleiben, wie es ist. Aber das ist doch eines der erzkonservativsten Argumente. Hätten das immer schon alle gesagt, sähe die Oderberger gar nicht so aus, wie sie heute ist."