Projekt

Per BVG-Ticket über Spree und Landwehrkanal

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Sabine Gundlach

Junge Architektinnen wollen das Netz von U- und S-Bahn durch Fährlinien erweitern

Zwei Frauen wollen nah am Wasser bauen, ihr Ziel ist klar: „Berlins Wasserwege besser zugänglich machen und für den Alltagsverkehr nutzen“, bringen Anja Fritz und Nike Kraft die Grundidee ihres Projekts auf den Punkt. „Berlin im Fluss. Öffentlicher Nahverkehr auf Spree und Landwehrkanal“ lautet der programmatische Titel ihres visionären Entwurfs. Mit ihm sind die jungen Architektinnen aktuell im Rennen für einen der Preise des Wettbewerbs „Stadt im Wandel – Stadt der Ideen“, die die „Plattform Nachwuchsarchitekten“ am Montagabend im Rahmen des Berliner Architekturfestivals „MakeCity“ vergibt. Das nah am Wasser gebaute Verkehrsprojekt von Fritz und Kraft war zugleich Thema ihres Diploms, das beide Nachwuchsplanerinnen erst vergangene Woche im Fachbereich Architektur an der Universität der Künste (UdK) bestanden haben.

26 gelbfarbene Haltestellen

Die entwickelte Erweiterung des BVG-Netzes basiert im Grundkonzept auf drei Fährlinien mit insgesamt 26 Haltestationen: Die Linie F 1 verkehrt zwischen Osthafen und Jungfernheide auf der Spree sowie zwischen Osthafen und Westhafen auf Spree und Spandauer Schifffahrtskanal. Die Linie F 3 führt zwischen Sonnenallee und Urbanhafen über den Neuköllner Schifffahrtskanal und den Landwehrkanal. Und die sogenannte Ringfähre F 2 führt über 19 Haltestationen an Landwehrkanal und Spree entlang. Ringfähre und F 1 doppeln sich zudem zwischen Spreekreuz Nord und Schlesisches Tor, um so dem erhöhten Fahrgastaufkommen gerecht zu werden.

„Unsere Fährlinien schaffen auch direkte Verbindungen zwischen Orten, die es in dieser Weise noch nicht gab und erschließen zudem bislang nicht so gut angebundene Standorte wie beispielsweise Bereiche am Neuköllner Schifffahrtskanal“, erläutert Nike Kraft das Verkehrsnetz auf Berlins Wasserstraßen. Und die Berlinerin ergänzt: „Die Wasserwege eröffnen neue Perspektiven. Plötzlich begreift man die Stadt als Ganzes und nicht nur in ihren Teilsegmenten. Gebäude, Orte und Räume, mit denen man vertraut ist, können von der Wasserperspektive aus neu entdeckt und neu verstanden werden.“

Dabei betonen die beiden Planerinnen, dass sie ihr Projekt keineswegs als Konkurrenz zu Berlins Reedereien sehen und „schon gar keine Touristenlinie im Sinn haben“, so Nike Kraft. „Wir wollen vielmehr ein zusätzliches Verkehrsmittel schaffen, das von den Berlinern im Alltag genutzt wird und sich in das bestehende Netz der BVG eingliedert und es ergänzt“, sagt die 28-Jährige. So gibt es Haltepunkte nahe bestehenden U- oder S-Bahnhöfen wie Hallesches Tor, Friedrichstraße oder Hauptbahnhof, aber auch ganz eigene Stationen wie beispielsweise Neue Nationalgalerie oder Europa-City.

Als Verkehrsmittel schlagen die Architektinnen den Einsatz elektrisch betriebener Solarfähren vor, die die BVG bereits außerhalb der Innenstadt nutzt. Die emissionsfreien Boote bieten jeweils 55 Sitz- und 15 Stehplätze. Für eine ausreichend hohe Frequentierung sollen 23 dieser Aluminium-Katamarane eingesetzt werden. Der Halt einer Fähre dauere, dank des Anlegemechanismus mittels starker Elektromagneten, nicht länger als der eines Busses.

Und auch der Bau der Haltepunkte lasse sich einfach realisieren. „Das ist kein großes Ding, wir haben dafür vorgefertigte Bauteile vorgesehen“, erläutert Nike Kraft. Jede der Fährstationen besteht aus einfachen Industrieelementen: einem Ponton, einem in den Grund gerammten Pfahl, einer Landmarke und einer Landungsbrücke. Diese einfachen Bauteile genügten zum Bau einer Haltestelle, wenn das Ufer einigermaßen zugänglich sei. Andernfalls müsse der Zugang zum Ponton mit Hilfe von zusätzlichen Plattformen, Treppen und Rampen erfolgen, was aber auch machbar sei. Die in den Grund gerammten Pfosten zur Befestigung der Pontons strahlen im Verkehrsgelb der BVG. Wie die Fährhaltestationen aussehen könnten, haben Kraft und Fritz für sechs Standorte beispielhaft erarbeitet und in Simulationen dargestellt.

Halte- oder besser gesagt Ankerplätze für die 23 Solarfähren bieten die Endstationen Jungfernheide und Osthafen. Letzterer soll darüber hinaus auch die BVG-Werft beheimaten, die die Architektinnen ebenso wie eine öffentlich zugängliche Kantine für den Bereich des „Mediaspree“ genannten Gebiets in Friedrichshain am Wasser vorgesehen haben. „Gerade dieses Areal am Spreeufer ist ein öffentlich kaum genutzter Raum, den wir wieder stärker anbinden wollen. Die Kantine soll deshalb nicht nur für Werftmitarbeiter, sondern auch für die Bürger zugänglich sein“, so Nike Kraft. Bei der BVG stößt die Idee der Nachwuchsarchitektinnen auf verhaltene Reaktionen. „Dazu äußern wir uns nicht, das ist Sache der Senatsverwaltung“, sagte Sprecher Markus Falkner am Wochenende.

Vier Monate Arbeit stecken in dem Projekt von Anja Fritz und Nike Kraft, die für ihr Diplom nicht nur oft an Spree und Landwehrkanal spazieren waren. „Wir haben uns natürlich unter anderem auch in der Köpenicker Mitschiff-Werft über die Arbeitsbedingungen und Voraussetzungen vor Ort gründlich informiert“, sagt Nike Kraft. Ihr Ziel als Architektinnen sehen die beiden weniger darin, „Großes bauen zu müssen, um Großes zu schaffen. Wir wollen vielmehr mit dem arbeiten, was vorhanden ist, und in Berlin gibt es einfach viel Wasserraum“. Den will sich die gebürtige Allgäuerin Anja Fritz übrigens bald auch ganz individuell erobern: „Ich mache gerade den Führerschein für Motorboote“, sagt die 29-Jährige und lacht. Das habe sich so nach der Arbeit an dem Projekt ergeben.

Stadt bewegen: Talk und Wettbewerbsausstellung der Plattform Nachwuchsarchitekten, heute, 19 Uhr, Nazarethkirchstraße 39, Wedding