Wohnungspolitik

Fast 50.000 Unterschriften

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Joachim Fahrun

Große Beteiligung am Volksbegehren zur Mietpolitik. SPD warnt: Gesetz kostet viel und nutzt nur wenigen Mietern

Das Volksbegehren zur Mietenpolitik mobilisiert die Bürger der Stadt wie noch keine Initiative der Volksgesetzgebung vorher. 48.541 Unterschriften haben die Initiatoren am Montag bei der Senatsinnenverwaltung in der Klosterstraße in Mitte abgegeben. Damit wurde die erste Hürde von 20.000 Stimmen deutlich übersprungen. Der Vergleich zu den Gesetzesvorhaben der Vergangenheit macht den Grad der Unterstützung deutlich: Das Volksbegehren, das zur Abstimmung über das Tempelhofer Feld führte und mit einer Senats-Niederlage endete, hatte in der ersten Stufe 33.000 Unterstützer, davon waren 5000 Unterschriften ungültig. Der ebenfalls später erfolgreiche Wasser-Volksentscheid reichte 39.000 Unterschriften ein.

„Damit haben die Berlinerinnen und Berliner in wenigen Wochen den nötigen Druck aufgebaut, damit die Frage der sozialen Wohnraumversorgung wieder ganz oben auf der Tagesordnung steht“, sagte Stephan Junker, Mitglied des Koordinationskreises der Initiative, zu der Mieterschutzgruppen wie Kotti & Co und die Berliner Mietergemeinschaft gehören.

Prüfung binnen 15 Tagen

Das Volksbegehren will die Förderung des Landes für den Neubau preisgünstiger Wohnungen aufstocken und die Mieten in den geförderten Wohnungen für sozial Schwache senken. Ferner sollen die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Anstalten öffentlichen Rechts umgewandelt und Sozialwohnungsbestände angekauft werden. Senat und Koalition kritisieren, diese Schritte würden zwar sehr viel Geld kosten, aber nur wenigen Mietern zugute kommen.

Das Haus von Innensenator Frank Henkel (CDU) leitet die Unterschriftenbögen jetzt an die Bezirksämter weiter. Diese prüfen binnen 15 Tagen, ob die Unterschriften tatsächlich von wahlberechtigten Berliner Bürgern stammen. Dabei dürfte eine relativ hohe Zahl von in Berlin lebenden Ausländern aussortiert werden. Die Initiative hat diese aber extra gesammelt, um damit ihre Anliegen deutlich zu machen, dass auch diese Bürger bei in einer Angelegenheit wie der Mietenpolitik mitentscheiden sollten.

Gleichzeitig steigen die Juristen der Innenverwaltung in die rechtliche Prüfung des Gesetzentwurfes ein. Bisher hatte es nur Vorabsprachen zwischen Henkels Beamten und den Initiatoren über Formalia gegeben, hieß es aus der Innenverwaltung. Der Inhalt des 59-seitigen Gesetzesentwurfs und die sich daraus ergebenden Folgen seien aber allenfalls „kursorisch“ geprüft worden.

Sollte das Haus Henkel einen Volksentscheid für rechtskonform bewerten, tritt das Verfahren in die zweite Stufe ein. Das Abgeordnetenhaus hat dann vier Monate Zeit zu beraten, ob es das Gesetz der Initiative übernimmt oder sich mit ihnen verständigt. Wenn nicht, werden in den Bürgerämtern wieder Listen ausgelegt. Kommen 175.000 Unterschriften zusammen, kommt es zu einer Volksabstimmung. Die Initiative strebt als Termin den Tag der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2016 an.

Ob der Gesetzentwurf aber rechtlich zulässig ist für die Volksgesetzgebung, ist unklar. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) sagte, er halte eine juristische Prüfung für sinnvoll. Wenn die zuständigen Rechtsexperten der Innenverwaltung einen Mieten-Volksentscheid nicht zulassen, landet der Fall dem Berliner Gesetz folgend vor dem Landesverfassungsgericht. Die rechtlichen Bedenken fasste am Mittwoch der CDU-Bauexperte Matthias Brauner zusammen: Das Budgetrecht des Parlaments könnte verletzt sein. Der Verfassungsgerichtshof müsse auch feststellen, ob ein derart kompliziertes Gesetzeswerk sich nicht der Volksgesetzgebung entziehe, so Brauner.

Höhe der Kosten umstritten

Schließlich seien die vom Senat auf mehr als drei Milliarden Euro insgesamt oder 700 Millionen pro Jahr geschätzten Kosten so hoch, dass Berlin die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verletzen müsste, um die Forderungen umzusetzen. Die Initiative gibt die Gesamtkosten mit knapp 1,2 Milliarden Euro an. Der Grünen-Finanzexperte Jochen Esser rechnet mit rund zwei Milliarden. Der Verein Mehr Demokratie, der sich für eine stärkere Volksgesetzgebung einsetzt, verwies auf eine Entscheidung der Verfassungsrichter von 2009 zum Begehren für bessere Kitas. Seinerzeit hätten die Richter auch „finanzwirksame“ Volksbegehren für rechtens erklärt und auch keine Obergrenze festgelegt.

Die Regierungskoalition aus SPD und CDU bringt die starke Unterstützung für das Mieten-Volksbegehren in Bedrängnis. Über den Umgang mit der Initiative wird in beiden Regierungsparteien, aber auch bei den Grünen diskutiert. Denn einige Elemente des Gesetzentwurfs werden akzeptiert, andere dagegen abgelehnt. „Ich teile zwar das Kernanliegen“, sagte SPD-Landeschef Jan Stöß der Berliner Morgenpost. Es sei gut, dass in der Stadt über bezahlbare Mieten diskutiert werde. „Aber das Volksbegehren führt nicht wirksam zu bezahlbaren Mieten für viele sondern viel Geld kommt bei wenigen an und dann auch noch bei den Falschen“, sagte Stöß. Auch Grüne und CDU kritisieren, dass die Initiative den Senat verpflichten will, alte Sozialwohnungsbestände anzukaufen. Das sorge nur für Profite bei den Eigentümern.