Neukölln

Hoffnungsträgerin für den Problembezirk

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Patrick Goldstein

Neuköllns neue Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) will den Bezirk für Familien attraktiver machen

Der Schatten des großen Vorgängers schwebt noch über ihr. Heinz Buschkowsky war mehr als 15 Jahre Seele, Gesicht und vor allem Mundwerk Neuköllns. Jetzt macht sich die neue Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) daran, ganz schnell Bekanntheit und Profil zu gewinnen. Am Dienstag stellte sie ihr Programm bis zum Ende der Legislatur im Herbst kommenden Jahres vor.

Am vergangenen Mittwoch war Giffey mit 43 Ja-Stimmen und sechs Nein-Stimmen ins Amt gewählt worden. Dienstagvormittag leitete sie zum ersten Mal die Sitzung des Bezirksamtes. Dort legte sie ihr Papier laufender und zukünftiger Vorhaben im Bezirk vor. Titel: „Neukölln-Programm 2015/16 – weg vom Problembezirk, hin zum Innovationsbezirk.“ Griffig wie ein Wahlkampfslogan.

Zu den zwölf Schwerpunkten des Programms gehören auch Pläne für das Bürgeramt – die auch für den Rest Berlins von Bedeutung sind. Wie berichtet, sind stadtweit Termine für die Beantragung von Pässen und anderen Bescheinigungen auf Wochen ausgebucht. Wer etwas vom Bürgeramt will, muss intensiv im Internet recherchieren. Denn freie Termine werden auf der entsprechenden Seite nur unregelmäßig nachgeliefert. Ein Zeitfenster im eigenen Bezirk zu bekommen, ist so gut wie unmöglich.

Während deshalb künftig 33 neue Mitarbeiter die Ämter Berlins verstärken sollen, herrscht nun im Bürgeramt Neukölln Gedränge. Bei der Vorstellung ihres Programms klagte Giffey über lange Menschenschlangen. Denn: In Neukölln werden sogenannte Spontankunden bedient, also Bürger, die keinen Termin ausgemacht haben. Das hat sich in Berlin herumgesprochen.

Giffey sagte, es solle daher ein System geschaffen werden, bei dem Neuköllner in Neukölln bevorzugt bedient werden. „Einen Unterschied zu machen zwischen Neuköllnern und Nicht-Neuköllnern ist für mich vertretbar“, sagte die SPD-Politikerin.

Auf Wandel eingehen

Für die Beibehaltung von Spontanterminen und Terminen, die nicht online gebucht werden müssen, spreche die Zusammensetzung der Bevölkerung in ihrem Bezirk. Viele könnten nicht hinreichend Deutsch. Andere seien zu alt, um mit dem Internet vertraut zu sein.

Giffey betonte, dass sie beabsichtige, die Veränderungen im Bezirk wie unter ihrem Vorgänger und Mentor Buschkowsky begonnen fortzusetzen. Unter ihr werde allerdings künftig verstärkt auf den Wandel Neuköllns eingegangen. „Wir haben hier eine Gründerszene im Bezirk, und wir müssen die Bedingungen schaffen, dass diese Menschen auch im Bezirk bleiben, wenn sie Kinder bekommen und Familien gründen“, so Giffey. Insgesamt wolle sie zeigen, dass Neukölln Potenzial habe. In ihrem Programm setzt sie auf den Ausbau von Wirtschaft, Tourismus und Kultur. Derlei Plänen stellte sie am Dienstag eine nüchterne Bestandsaufnahme voraus: Der derzeit 781 Millionen Euro umfassende Bezirkshaushalt reiche nicht aus, um die vielen Aufgaben zu lösen. 74 Prozent davon flössen als Transfer- und Sozialhilfen ab. „Der Spielraum, um schöne Dinge umzusetzen, ist gering“, sagte Giffey.

42 Prozent der rund 325.000 Einwohner Neuköllns hätten einen Migrationshintergrund, 87.000 oder 39,2 Prozent seien sozialversicherungspflichtig beschäftigt. In ganz Berlin sind es dagegen 45,8 Prozent. Eine positive wirtschaftliche Entwicklung sei aber, dass sich viele Interessenten im Bezirk ansiedeln wollten. „Wir haben eine starke Wirtschaft mit 10.000 Unternehmen in Neukölln.“

Wirtschaftsförderung sei einer ihrer Schwerpunkte, so Giffey. Daneben kümmere sie sich mit ihrer Europabeauftragten um Drittmittel aus Landes-, Bundes- und EU-Töpfen.

Mehr Geld für Bildung

Ein weiterer Schwerpunkt bleibe die Bildung, so die ehemalige Bildungsstadträtin. An der Hälfte der 62 Schulen im Bezirk kämen 80 bis 90 Prozent der Schüler aus sozial schwachen Familien und/oder seien nichtdeutscher Herkunft. 80 Prozent der vom Land kommenden zusätzlichen Investitionsmittel für den Bezirk würden in Schulen gesteckt, sagte Giffey. Außer in die Sanierung der Gebäude und Toiletten soll das Geld in den Ausbau zu Ganztagsschulen investiert werden.

Mehr Geld will Neukölln auch für eine neue Jugendberufsagentur, neue Jugend-Freizeiteinrichtungen, ein neues Volkshochschulgebäude und eine neue Stadtteilbibliothek in Alt-Rudow ausgeben. Auch für mehr Personal und die Unterstützung der Kultur soll es mehr Mittel geben.