Die Zahlen sind alarmierend und die Behörden müssen sie kontinuierlich nach oben korrigieren: Ende 2013 sprach der Verfassungsschutz von „etwa zwei Dutzend“ jungen Berlinern, die als Dschihadisten nach Syrien gereist sind. Im September 2014 waren es bereits 50. Und vor wenigen Wochen sprach Behördenchef Bernd Palenda schon von 90 selbsternannten „Gotteskriegern“. Nun will auch Berlin ein umfassendes Anti-Radikalisierungs-Programm und eine zentrale Koordinierungs- und Beratungsstelle auf den Weg bringen. Am morgigen Mittwoch wird es im Ausschuss für Verfassungsschutz dazu eine Anhörung geben.
Im Grundsatz haben die sicherheitspolitischen Experten der Regierungskoalitionen sich bereits auf die Schaffung eines Landesprogramms gegen islamistische Radikalisierung geeinigt. „Wir wollen deutlich machen, dass etwas passieren muss“, sagte der verfassungsschutzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tom Schreiber, auf Anfrage der Berliner Morgenpost. Ausgereiste Dschihadisten, die nach Berlin zurückkehrten, seien eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit. Man müsse mit ihnen arbeiten und dafür sorgen, dass sich nicht noch mehr Islamisten aus Berlin Terrorgruppen wie dem Islamischen Staat (IS) anschlössen. Wenn die Fraktionen die Initiative unterstützten, könne das Anti-Radikalisierungs-Programm im kommenden Jahr starten, sagte der CDU-Experte für Verfassungsschutz, Stephan Lenz.
Islamisten zum Aussteigen bewegen
Innensenator Frank Henkel (CDU) hatte vor wenigen Wochen den Startschuss für ein Programm gegeben, das seit Anfang April arbeitet. In dem „Netzwerk gegen dschihad-salafistische Radikalisierung“ soll der Verein Violence Prevention Network (VPN) Islamisten, die bereits in der Szene verankert sind, dazu bringen, der Gewalt abzuschwören oder ganz auszusteigen. Die Innenverwaltung unterstützt den freien Träger im laufenden Jahr dafür mit 115.000 Euro. Insgesamt soll in den nächsten Jahren eine halbe Million Euro in das Projekt fließen.
Unklar ist, bei wem die Federführung für das Landesprogramm und die zentrale Beratungsstelle liegen soll. Die CDU-geführte Innenverwaltung hat zwar die Initiative für mehr Prävention ergriffen. Nach Lesart der Bildungs- und der Integrationsverwaltung, beide geführt von SPD-Senatorinnen, hat Henkels Behörde in Briefen aber versucht, die Verantwortung für die Aufgabe abzuschieben.
Unter Mitarbeitern der Innenverwaltung gibt es Unmut, weil die Bildungsverwaltung der SPD-Senatorin Sandra Scheeres auf Henkels Bitte, mehr für die Prävention, etwa in Schulen, zu tun, zurückhaltend reagiert habe. Ein Sprecher der Bildungsverwaltung sagte, dass Angebote für Lehrer ausgeweitet worden seien. Auch die Landeszentrale für politische Bildung engagiere sich gegen Radikalisierung. Bei einer neuen Anti-Radikalisierungsstelle werde sich die Bildungsverwaltung einbringen. „Wir sind aber der Auffassung, dass die Federführung bei der Innenverwaltung liegen sollte“.